24. April 1966: "Auge und Ohr Deutschlands"

24.4.2016, 07:00 Uhr
24. April 1966:

© Gerardi

"Nürnberg, du vormals weltberühmte Stadt. Wie gerne durchwanderte ich deine krummen Gassen, mit welcher kindlichen Liebe betrachtete ich deine altväterlichen Häuser und Kirchen, denen die feste Spur von unserer alten vaterländischen Kunst eingedrückt ist. Wie innig lieb ich die Bildungen jener Zeit, die eine so derbe, kräftige und wahre Sprache führen. Gesegnet sei mir deine goldene Zeit, Nürnberg."

In solchen Worten schwelgte noch 1798 der Romantiker Wilhelm Wackenroder über die Stadt, obwohl sie damals nur noch ein schwaches Abbild ihrer einstigen Größe bot, verschuldet und politisch bedeutungslos war, starr am Hergebrachten festhielt und von ihrem früheren Ruhm zehrte. Der erste Lobspruch auf Nürnberg ist von dem Minnesänger Walther von der Vogelweide (1224) überliefert, der da niederschrieb: "Ze Nurenberc was gout gerihte, daz sage ich zu maere (Zu Nürnberg hielt man gut Gericht, ich melde wahre Märe)".

Zweihundert Jahre später ließ sich Papst Pius II., bürgerlichen Namens Enea Silvio Piccolomini, vernehmen: "Kommt man aus Niederfranken und sieht diese herrliche Stadt aus der Ferne, so zeigt sie sich in wahrhaft majestätischem Glanze, der beim Eintritt in ihre Tore durch die Schönheit ihrer Straßen und die Sauberkeit ihrer Häuser sich bewahrheitet. Die Kirchen zu St. Sebald und St. Lorenz sind ehrwürdig und prachtvoll, die kaiserliche Burg blickt fest und stolz herab, und die Bürgerhäuser scheinen für Fürsten erbaut. Wahrlich, die Könige von Schottland würden wünschen, so gut wie die mittleren Bürger von Nürnberg zu wohnen."

24. April 1966:

© Bild: Friedrich Trost d.J./Foto: Gerardi

In das gleiche Horn stößt der Humanist Konrad Celtis, der 1487 in Nürnberg zum Dichter gekrönt wurde und später verschollene lateinische Dramen entdeckt hat, wenn er zu Papier bringt: "Die Häuser von Nürnberg scheinen nicht Wohnungen von Bürgern zu sein, sondern Residenzen von Königen und Fürsten. Ein Bild steten Lenzes ist der reiche Blumenschmuck, der einen süßen Duft verbreitet, daß auch nur der leiseste Lufthauch den Geruch in das Schlafgemach und in die inneren Räume des Hauses trage.

Kein Wunder, daß Martin Luther „Nürnberg – das Auge und Ohr Deutschlands" nennt und Philipp Melanchthon zur gleichen Zeit – im ersten Viertel des 15. Jahrhunderts – in lateinischer Sprache schwärmt: "Eure Stadt hat sich schon längst durch Reichtum, Gebäude und und kunstreiche Meister so ausgezeichnet, daß man sie mit Recht jeder der hochberühmten Städte des Altertums an die Seite stellen kann. Und keine andere deutsche Stadt hat bisher so gelehrte Bürger gehabt, weil sie ihre Kenntnis der höchsten Wissenschaften im Dienst des Stadtregiments anwendeten, haben sie es dahingebracht, daß diese Stadt über die andern in Deutschland weit hervorragt."

"Ein ehrwürdiger Ort"

In einem Brief an Friedrich Schiller schreibt Goethe am 10. November 1797: "Die Stadt bietet mancherlei Interessantes an, alte Kunstwerke, mechanische Arbeiten, so wie sich auch über politische Verhältnisse mancherlei Betrachtungen anstellen lassen." Mit einem dicken Lob für Albrecht Dürer hatte sich der Dichterfürst 24 Jahre früher in "Von deutscher Baukunst" geäußert: "Wie sehr unsere geschminkten Puppenmaler mir verhaßt sind, mag ich nicht deklamieren. Männlicher Albrecht Dürer, den die Neulinge anspötteln, Deine holzgeschnitzteste Gestalt ist mir willkommener."

Ebenso erklärt Friedrich Hölderlin 1794 in einem Brief: "Nürnberg ist ein ehrwürdiger Ort mit seinen gotischen Palästen und emsigen Einwohnern und liegt recht freundlich da auf der weiten Ebene. Ich lernte auch sehr kultivierte Menschen kennen." Obwohl es um diese Zeit mit der Stadt längst steil bergab gegangen war, nahmen die rühmlichen Reden über sie kein Ende. Selbst König Ludwig I. von Bayern, der neue Herr, ergeht sich in einem Brief an seine Schwester Charlotte in lobenden Worten wie "Nürnberg, des Königreiches bedeutendste Stadt, nicht nur der Erinnerung wegen, sondern auch wegen dem, was gegenwärtig sie noch ist … Nirgends diesseits oder jenseits der Alpen sind so viele und würdige, selbst hervorgebrachte Werke der Kunst."

Und just als die Nürnberger sich nur widerwillig in ihr Schicksal als Untertanen des bayerischen Königs fügten, da dichtete Max von Schenkendorf in "Die deutschen Städte" jene Verse, die bis auf den heutigen Tag bekannt geblieben sind und zitiert werden. "Wenn einer Deutschland kennen / Und Deutschland lieben soll / Wird man ihm Nürnberg nennen / Der edlen Künste voll. / Dich, nimmer noch veraltet Du treue, fleißige Stadt / wo Dürers Kraft gewaltet / und Hans Sachs gesungen hat." Friedrich Hebbel meinte 1858: "In Nürnberg fragte ich mich fortwährend, wie eine Zeit, die eine solche Stadt zustande brachte, jemals in den Ruf der Barbarei geraten konnte."

Als schon die erste deutsche Eisenbahn in die Nachbarstadt Fürth zuckelte, immer mehr Schornsteine von Industriebetrieben zu rauchen begannen und vor den alten Mauern die häßlichen Backstein-Behausungen der Gründerzeit entstanden, da noch teilte Adalbert Stifter 1865 seinem Verleger mit: „Nürnberg hat auf mich einen ungeheuren Eindruck gemacht. Ich ging nach meiner Ankunft in der Stadt herum, bis es finster wurde, und kam völlig berauscht nach Hause. Das ganze Ding war mir wie feenhaft, ich war wie eine Gestalt auf einem Dürer'schen Bilde. Nürnberg ist die schönste Stadt, die ich je gesehen habe; sie ist in ihrer Ganzheit ein wahrhaftiges Kunstwerk.

Mehr von der heiteren Seite betrachtet der amerikanische Schriftsteller Mark Twain an der Jahrhundertwende seine Gastgeber: "Auf meiner Europareise wollte ich auch Nürnberg etwas näher betrachten. Ein paar Stunden genügten mir schon, einen unverlierbaren Hauch vom altfränkischen Wesen zu bekommen. Es ist alles so putzig geordnet wie in einem Museum. Die Leute sind betriebsam und lachen nicht ungern. Aber es beschleicht mich ein Gefühl, als gewährten sie dem Humor nur kurze Gastspiele, selber bringen sie keinen hervor. Sie nehmen ihre Mission, eben die Nürnberger Mission,, schrecklich ernst. Und gerade darum liebe ich die Nürnberger nach kurzem Aufenthalt und belustige mich daran", so fließt es aus seiner Feder.

Hymne auf die Vaterstadt

Arbeiterdichter Karl Bröger läßt es sich nicht nehmen, seiner Vaterstadt eine würdevollere Hymne zu widmen. In seinem Gedichtband "Unsere Straßen klingen" hat er 1925 in "Der steinerne Psalm" die Verse veröffentlicht, die bereits ein anderes Nürnberg darstellen und über die "edlen Kirchen und Häuser, Firste und Giebel, traulich im Winkel verschmiegt" zu den "Kaminen und Essen, trotzig gereckt in den Wind", hinüberleiten. Dennoch kommt Bröger zu dem versöhnlichen Schluß: "Unsere Stadt ist ein mächtiger steinerner Lobgesang."

24. April 1966:

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Mißgelaunter hingegen gibt sich Hermann Hesse, als er Ende der zwanziger Jahre einen kurzen Besuch macht. Seine Eindrücke lesen sich so: "Ich sah eine wahrhaft entzückende alte Stadt, reicher als Ulm, origineller als Augsburg, ich sah St. Lorenz und St. Sebald, sah das Rathaus mit dem Hof, wo der Brunnen so unsäglich anmutig steht. Ich sah dies alles, und alles war sehr schön, aber alles war umbaut von einer großen, lieblosen, öden Geschäftsstadt, war umknattert von Motoren, umschlängelt von Automobilen, alles zitterte leise unter dem Tempo einer anderen Zeit, die keine Netzgewölbe baut und keine Brunnen hold wie Blumen in stille Höfe hinzustellen weiß. Alles schien bereit, in der nächsten Sekunde einzustürzen, denn es hatte keinen Zweck und keine Seele mehr."

Dem greisen Dichter ist es erspart geblieben, das Nürnberg zu sehen, das unter neun Millionen Kubikmeter Schutt begraben lag, so daß der bedeutende Journalist Alfred Kerr 1947 in der "Neuen Zeitung" ernsthaft vorschlug, man solle "die Ruinen liegenlassen, Blumen, Blumen, Blumen hinsäen und eine Stadt daneben wieder aufzubauen". Kerr durfte es sich erlauben, das vormalige Schatzkästlein des Reiches eine "ruppige, häßliche, trostlose Schutthalde" zu nennen. Was aber würde erst Hermann Hesse heutzutage sagen, wenn er durch die Straßen ginge, in denen 109 000 Fahrzeuge herumkurven, die neben den "wahrhaft entzückenden" Bauwerken immer mehr Häuser aus Glas und Beton aufweisen?

Vielleicht könnte er doch auch in den Chor jener vielen Gäste mit einstimmen, die den Wiederaufbau als gelungen und einmalig bezeichnen. Trotzdem ist nach dem Kriege nur wenig noch in Versen über diese Stadt geschrieben worden. Freilich, die beiden Kulturpreisträger Hermann Kesten und Dr. Friedrich Hagen haben ihrer Vaterstadt literarische Kränze geflochten. Hans Magnus Enzensberger, der hier aufgewachsen ist und zur Avantgarde unter den Schriftstellern dieser Zeit zählt, berichtet in einem kurzen biographischen Abriß über seine Jugend lediglich, er habe sehen können, wie der frühere Gauleiter Julius Streicher zahme Rehe im Cramer-Klett-Park spazierenführte.

Am häufigsten wird Nürnberg mit einem Schlagwort bezeichnet, das Oberbürgermeister Dr. Urschlechter geprägt hat und in alle Lande trägt. Er spricht gerne von der "alten Reichsstadt, aber modernen Industrie- und Handelsstadt". Das klingt weit nüchterner als die Verse eines Wackenroder oder Schenkendorf. Aus den Worten von einst und heute läßt sich ein Unterschied herauslesen, der in der Stadt selbst längst sichtbar ist, ein Unterschied wie zwischen der Partie am Weinstadel und der Parkwohnanlage Neuselsbrunn. Dennoch: in Nürnberg ist der Weg durch die Jahrhunderte wenigstens noch sichtbar – der Weg von der Romantik zum Rationalismus.

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