27. Januar 1966: Elektronik in allen Amtsstuben

27.1.2016, 07:00 Uhr
27. Januar 1966: Elektronik in allen Amtsstuben

© Ulrich

Bundesinnenminister Paul Lücke – gestern bei der Eröffnung des 6. Deutschen Beamtentages des Deutschen Gewerkschaftsbundes in der Nürnberger Meistersingerhalle der prominenteste Gast – verspricht sich von der Rationalisierung der Verwaltung einen neuen Typ des „Staatsbürgers im Staatsdienst“, wenn Hand in Hand damit die antiquierten Passagen des Beamtenrechts reformiert werden. Lücke, der insbesondere an Disziplinar- und Besoldungsrecht dachte, möchte von einer Expertenkommission die Möglichkeiten und Erfordernisse einer Neuregelung prüfen lassen.

Auch der DGB-Vorsitzende Ludwig Rosenberg, der ein Bekenntnis zum Berufsbeamtentum ablegte, sprach vom „neuen Typ“, der die besten Traditionen mit den Aufgaben einer freien Gesellschaft zu verbinden sucht. Während Vizekanzler Dr. Erich Mende und CSU-Vorsitzender Franz Josef Strauß ihren Besuch kurzfristig abgeblasen hatten, waren 170 Ehrengäste aus hohen Ämtern dem Ruf der im DGB organisierten Beamten gefolgt. 500 Delegierte und ebenso viele Gastdelegierte ließen keinen Stuhl mehr frei. Zum ersten Male saßen auch Bundeswehrsoldaten als Gewerkschaftsdelegierte unter den Zivilisten. Die Farbe der Uniform mischte sich unter das Blau der einheimischen Polizisten und Feuerwehrleute und das Grün der Bundesgrenzschutzbeamten, die als Zuhörer gekommen waren.

MdB Hermann Josef Russe, der Hauptgeschäftsführer der CDU-Sozialausschüsse, bedauerte für seine Partei den Rückstand der Beamtenbesoldung. Die CDU sei sich ihrer Verpflichtung gegenüber dem Berufsbeamtentum bewußt, zumal die Probleme der heutigen Zeit ohne hochqualifizierten öffentlichen Dienst nicht zu meistern seien. Ebenso großen Wert auf den funktionsfähigen öffentlichen Dienst legte Käthe Strobel vom SPD-Parteipräsidium. Allerdings warf sie der Bundesregierung vor, sich nur mit Hilfsmaßnahmen begnügt zu haben, obgleich die Besoldung keine Ausgabe des Bundes sei, mit der manipuliert werden könne.

Staatsdienst für die Tüchtigen

Zurückhaltender beschäftigte sich der 62-jährige Ludwig Rosenberg, der beim DGB-Bundeskongreß im Mai in Berlin wieder für das Amt des Vorsitzenden zu kandidieren beabsichtigt, mit den Sorgen der Beamten. „Gerade die Aufgaben des Beamten im demokratischen Staat verlangen einen charakterlich und fachlich ausgezeichneten Bürger. Für Staat und Gesellschaft ist es deshalb unerträglich, daß soziale und wirtschaftliche Bedingungen und die Möglichkeit der Anerkennung von Leistung und damit verbundenem Aufstieg leider durchaus nicht mit denen vergleichbar sind, die in der Wirtschaft Fachleuten geboten werden“, meinte er und knüpfte daran die Forderung, daß der Staatsdienst für die Tüchtigsten erstrebenswert bleiben müsse.

Der Beamte in einer Demokratie, der von keinem Bürger in seiner Treue zur Freiheit, zur Menschenwürde, zur Verantwortung für die Allgemeinheit und zum Streben nach Gerechtigkeit übertroffen werden darf, könne nicht auf die bürgerlichen Rechte verzichten: auf das Koalitionsrecht, auf das Recht der freien Meinungsäußerung und auf das Recht der Mitbestimmung.

Der DGB-Vorsitzende fand Schützenhilfe beim Minister. „Die staatspolitische Aufgabe des Beamtentums heißt, dem gesamten Volk zu dienen und die Interessen des einzelnen wie des Staates zu wahren“, erklärte Paul Lücke und folgerte daraus: „Kein Beamter darf benachteiligt werden, weil er Mitglied einer demokratischen Partei ist. Ebensowenig wird ein Beamter, der sich parteipolitisch bekennt, für dieses Bekenntnis eine berufliche Förderung erwarten. Die kann allein nach Können und Haltung erfolgen.

Angriff auf die Bundesregierung

Der neue Bundesinnenminister, der der Mitarbeit aller Spitzenorganisationen bei der Regelung der beamtenrechtlichen Verhältnisse großen Wert beimißt, erblickt in der Modernisierung der Verwaltung – und in der Bereitstellung des dafür nötigen Geldes – einen wesentlichen Teil der künftigen Politik, weil ein Staatswesen mit zeitgemäßen Mitteln verwaltet werden müsse. Dennoch versicherte Paul Lücke, er wisse wohl, daß noch einige andere Aufgaben der Lösung harren: an der Neuordnung des Besoldungsrechts werde „mit Nachdruck“ weitergearbeitet, so daß er schon bald den Gesetzentwurf dem Kabinett vorlegen könne. Die im Herbst 1964 eingesetzte Besoldungskommission werde sich auch künftig um die Besoldungsreform bemühen. Außerdem liefen zur Zeit die Verhandlungen über den Bewährungsaufstieg im Tarifrecht, die voraussichtlich im nächsten Monat zu Ende gehen.

Trotz solcher Silberstreifen am Horizont griff am Nachmittag Waldemar Reuter in seinem Referat „Die Beamtenpolitik des DGB“ die Bundesregierung an, die sich, anstatt eine beamtenpolitische Konzeption auszuarbeiten, durch einzelne Maßnahmen verzettelt habe. Außerdem vermißte er das rechte Verhältnis der Regierung zu den Menschen, die schließlich ihren Willen in die Tat umsetzen.

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