5. Dezember 1962: Das Christkind lädt zum Markte ein

5.12.2012, 06:58 Uhr
5. Dezember 1962: Das Christkind lädt zum Markte ein

© Ulrich

Die Lichter rings um den Hauptmarkt verloschen, eins nach dem andern, bis nur noch der Mond durch die Nebelschwaden zu sehen war. Zwei Glockenschläge verhallten, der weite Platz voller Menschen, Buden und Tannenbäume wurde still. Dann klangen Fanfaren von der Empore der Frauenkirche und verkündeten schmetternd die Eröffnung des Christkindlesmarktes.

Oben unter der Uhr, vor der sonst die sieben Kurfürsten dem Kaiser ihre Reverenz erweisen, stand das Christkind in einem glänzenden Kleid und lud groß und klein zu seinem Markte. Die Eltern hoben ihre Kinder hoch und zeigten ihnen die beiden steifen Rauschgoldengel rechts und links neben dem Christkind, die Bläser in ihren alten Trachten, die Tannenbäume am Portal der Kirche, an denen die Kerzen brannten.

Derweil sprach es zu den Menschen unten: „In jedem Jahr, drei Wochen vor der Zeit, da man den Christbaum schmückt und sich aufs Feiern freut, ersteht an diesem Platz, der Ahn hats schon gekannt, was Ihr hier seht, Christkindlesmarkt genannt. Es ist ein alter Brauch. . .“

Die ersten Bratwurstdüfte zogen den Wartenden durch die Nasen, mischten sich mit dem Geruch gebrannter Mandeln und dem des scharfen Schaschliks, das es neuerdings – dem Ahn noch unbekannt – auf diesem stimmungsvollsten deutschen Weihnachtsmarkt zu kaufen gibt.

Doch ehe es so weit war und die Kinder ihre lang aufgesparten Sehnsüchte nach Hutzelbrot und Lebkuchen stillen konnten, sang noch der Singschulchor am Eingang der Kirche. Das rotglühende Taktstöckchen seines Dirigenten ging auf und nieder und malte glühende Schleifen und Bögen in die bitterkalte Luft. „Stille Nacht, heilige Nacht“ klang es, zwar ein wenig zaghaft, aber doch hübsch und rein, daß manches Kind in der Menge leise mitsummte.

5. Dezember 1962: Das Christkind lädt zum Markte ein

© Ulrich

Doch in diesem Jahr hatte man das Mitsingen sogar und endlich einmal allerhöchsten Ortes genehmigt: bei der letzten Strophe von „O du fröhliche“ durften alle einstimmen. Die Kinder schmetterten es begeistert dem Christkind hoch oben entgegen, die Erwachsenen sangen es leise, als kämen vielen von ihnen die Worte aus weiter Erinnerung an Kinderzeiten in den Sinn. Selbst die oft geschmähten Halbstarken hielten kräftig mit, wo immer sie in der dichtgedrängten Menge standen. Sichtbar und hörbar war der Weihnachtsfrieden eingekehrt.

Langsam gingen die Lichter wieder aus, die Tannenbäume und die des Fernsehers vor den ersten Buden. Noch einmal wurde es still, fast so still wie damals in Bethlehem auf den Feldern. Dann aber flammte es überall auf: der Markt ging an. „Mama, wo ist das Christkind jetzt?“ fragte ein Bub unten im Gedränge, der gar nicht verstehen konnte, wie etwas so Glänzendes so plötzlich verschwinden konnte. „Im Himmel – und wir gehen jetzt Bratwürste essen!“ war die bündige Antwort.

Ganze Knäuel von Hungrigen drängten in das „Städtlein in der Stadt, aus Holz und Tuch gemacht“, so daß man schier an die Flüchtigkeit seines Bestandes zu glauben gezwungen wurde. Doch wie seit alten Zeiten hielt es auch heuer stand, und die Menge verlief sich rascher, als es zuerst aussah. Schon nach einer Weile konnten die „Herren und Frauen Nürnbergs und die fremden Leut“ - darunter sogar einige Reisegesellschaften aus England und den Staaten – in ziemlicher Ruhe durch die Gassen schlendern. „Dockngäßla“ heißen sie, „zum Rauschgoldengla“ und „Sterngäßla“.

An Schnüren hingen ihre Herrlichkeiten von den tannengrünbekränzten Budendecken herab: bunte Kugeln für den Weihnachtsbaum, Engel in zarten Schleiergewändern, Spielzeug aus Holz und Plastik, Lebkuchenherzen und Nürnberger Reiter aus Eierschnee. Den ganzen Abend über wogte es in den Gäßlein rund um die Krippe auf und ab. Die Menschen besahen die Auslagen und freuten sich auf das Fest, für das sie einkauften. So, wie es schon ihre Vorfahren in den drei Jahrhunderten getan haben, seit denen es in Nürnberg den Christkindlesmarkt gibt.

Aus den Nürnberger Nachrichten vom 5. Dezember 1962

 

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