6. Dezember 1962: "Extrawurst" für den Nürnberger Kloßteig

6.12.2012, 06:57 Uhr
6. Dezember 1962:

© Gerardi

 Mit dieser Entscheidung ist der Schlußpunkt unter einen jahrelangen Rechtsstreit gesetzt worden, der die Nürnberger Volksseele zum Kochen gebracht hatte, weil es keinen Kloßteig mehr zum Kochen gab. Seit vor einigen Tagen ein Brief aus Bonn beim ersten Hersteller des fränkischen Nationalgerichtes eingetroffen ist, füllten sich wieder die Plastikbeutel mit der weißen Teigmasse, die Hausfrauen und Gastwirten das Leben gleichermaßen erleichtert. Das Gesundheitsministerium darf sich rühmen, dem Volk im wahrsten Sinne des Wortes aufs Maul geschaut zu haben.

Der Kampf der Konservenfabrikanten aber hat sich gelohnt. Sie waren – wie seinerseits ausführlich berichtet – im Mai dieses Jahres zum Äußersten entschlossen gewesen, als auf dem Hof einer Nürnberger Konservenfabrik zehn Fässer mit rohen geschälten Kartoffeln beschlagnahmt worden sind. Die Stadt Nürnberg hatte diesen Schritt damit begründet, daß der „Verdacht der Schwefelung der Ware dringend“ war. Fabrikant Max Friess, dem solches Unglück widerfuhr, darf sich nun um so mehr darüber freuen, daß er als erster seiner Leidensgenosssen die frohe Nachricht aus der Bundeshauptstadt schwarz auf weiß erhalten hat.

Um schwarz oder weiß war es bei der ganzen Geschichte gegangen, die im Jahre 1960 aufgerührt wurde, als die Chemische Untersuchungsanstalt die Kloßteighersteller anzeigte. Die kartoffelverarbeitenden Betriebe waren scheinbar schuldig geworden, weil sie den Teig mit Natriumbisulfit hergestellt hatten. Dieses Mittel, das den Kartoffeln zugesetzt wird, wirkt gärungsverhindernd, führt aber zur angenehmen und erwünschten Nebenerscheinung, die Kartoffeln und später den Kloßteig weiß zu erhalten.

6. Dezember 1962:

© Gerardi

Das neue Lebensmittelgesetz hatte die kartoffelverarbeitenden Betriebe mit keinem Wort erwähnt, wohl aber behördlicher Verfügung ausgesetzt. Darum hob ein Rechtsstreit an, der vom Amtsgericht über das Landgericht bis zum Obersten Landesgericht ging, das am 8. März „im Namen des Volkes“ verkündete, daß Kloßteig und sämtliche Kartoffelprodukte „weder zur Bleichung bzw. zur Schönung noch zur Konservierung“ geschwefelt werden dürfen.

Das Volk, in dessen Namen hier gesprochen wurde, spürte die Entscheidung vom grünen Tisch erst, als es keinen Kloßteig mehr gab. Produktion mußte gestoppt werden Die Fabrikanten mußten ihre Produktion stoppen, zumal die Chemische Untersuchungsanstalt unerbittlich einschritt. Max Friess beispielsweise konnte nur noch verschwindend kleine Mengen mit anderen Mitteln wie etwa Weinessig verarbeiten.

Das merkten zwar auch die Kunden, aber für die Betriebe war die Kloßteigherstellung eine Existenzfrage. Hatten sie früher ausgesprochenen Saisonarbeit wie etwa die Konservierung von Gurken, roten Rüben oder Meerrettich, so waren sie froh gewesen, den Trichter mit dem Teig gefunden zu haben, weil sie damit ihre Arbeitskräfte das ganze Jahr über beschäftigten und damit halten konnten. Ihr Herz hing gar nicht am gärungsverhinderden Natriumbisulfit, sondern an einem Hilfsstoff überhaupt, ohne den es keinen Kloßteig geben sollte. Sie mußten darauf bestehen, weil ihre Beutel mit dem Kloßteig ohne diesen Zusatz glatt platzen würden. Bei Untersuchungen war überdies festgestellt worden, daß nur 0,05 Gramm Schwefeldioxyd in 100 Gramm Kloßteig zurückblieben; beim Kochen verliert es sich noch stärker.

Dieser Argumentation wußte sich wohl auch das Bonner Ministerium anzuschließen, das im Einvernehmen mit den Ernährungs- und Wirtschaftsministerium die Ausnahmegenehmigung „zur Verwendung von schwefeliger Säure und ihren Salzen bei der Herstellung von rohem Kartoffelkloßteig“ erteilt hat.

Daß der Versuch unter amtlicher Beobachtung stattfinden muß und höchstens 123 Milligramm schwefeliger Säure oder ihre Salze in einem Kilogramm des Erzeugnisses enthalten sein dürfen, drückt die Fabrikanten wenig. Ihre Maschinen drehen sich wieder. Gastwirte und Hausfrauen aber müssen sich nicht länger selbst plagen, wenn sie die „Kniedla“ auftischen wollen. Das Ministerium hat diese Mahlzeit beschert.

 Aus den Nürnberger Nachrichten vom 6. Dezember 1962

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