6. Oktober 1963: Keine Verkehrsgefahr

6.10.2013, 07:00 Uhr
6. Oktober 1963: Keine Verkehrsgefahr

© Gerardi

Der Bundesbahn ist, wie gestern bei einer Pressekonferenz der Nürnberger Direktion gesagt wurde, eine Veröffentlichung in unserer Ausgabe vom 1. Oktober „in die Krone“ gefahren. Es handelte sich dabei um einen Bericht über einen Prozeß vor dem Nürnberger Verkehrsschöffengericht, der mit Freispruch für den wegen fahrlässiger Tötung angeklagten Lokführer endete. Er stand unter der Überschrift: „Die E-Loks haben ihre Mucken.“

 

6. Oktober 1963: Keine Verkehrsgefahr

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Zur Begründung des Freispruchs hatte sich das Verkehrsschöffengericht auf den Standpunkt gestellt, daß es zu dem tödlichen Unfall unter anderem deshalb gekommen sei, weil die von dem angeklagten Lokführer gefahrene E-Lok ohne sein Hinzutun plötzlich beschleunigt habe und der Lokführer dies nicht habe voraussehen können. Das Gericht sprach – wie berichtet – angesichts einer derartigen Erscheinung bei der E-Lok von einem „unmöglichen Zustand“. Wir haben daran die Alterantive geknüpft, daß E-Loks, bei denen die Gefahr der selbständigen Beschleunigung bestehe, entweder in diesem Punkte verkehrssicher gemacht oder aus dem Verkehr gezogen werden müßten.

Bundesbahnpräsident Dr. Strößenreuther gab gestern der Presse und der Justiz Gelegenheit, sich von den Qualitäten der E-Loks vom Typ E 50 zu überzeugen, von denen im Bundesgebiet 92, davon 62 im Bezirk der Bundesbahndirektion Nürnberg, laufen. Es handelt sich um die schwersten E-Loks, die es zur Zeit in der Bundesrepublik gibt. Sie haben nicht weniger als 6000 PS und sind aufs modernste ausgerüstet. Ihre Zugleistung ist gewaltig.

Vizepräsident Prasch, der Maschinenexperte bei der Bundesbahndirektion Nürnberg, ließ den Gästen bei kurzen Probefahrten die technischen Möglichkeiten vorführen, durch die ein ungewolltes Beschleunigen der E-Loks vom Typ E 50 rasch abgefangen werden kann. Es sind dafür sechs Vorkehrungen getroffen. Ihre Wirkungen bestehen in der sofortigen Stromunterbrechung und der möglichst raschen Bremsung.

Seit 1957 nur 22 derartige Fälle

Geschulte und erfahrene Lokführer, so wurde gesagt, seien in der Lage, ein selbsttätiges Beschleunigen der Lok sofort zu erkennen und im gleichen Augenblick Gegenmaßnahmen zu treffen. Die Beschleunigung oder, wie es die Fachleute nennen, das Hochlaufen der Maschine ist u. a. an einem Tachometer zu bemerken, der im Blickfeld des Lokführers steht.

Ein gelegentliches Hochlaufen dieser E-Loks kann bei dem gegenwärtigen Stand der Technik, allerdings nicht ausgeschlossen werden. So wenig etwa, wie daß sich bei einem Kraftfahrer einmal das Gaspedal verklemmt und die Beschleunigung des Wagens nur durch Auskuppeln und Bremsen beseitigt werden kann. Die Fälle sind aber, wie in unserem Bericht erwähnt, sehr sehr selten. Seit 1957 wurden davon nur 22 registriert, die meisten davon auf freier Strecke, wo Unfallgefahren durch plötzliches Hochlaufen kaum denkbar sind.

So wie Automobile trotz gelegentlich auftretender technischer Mängel als verkehrssicher bezeichnet werden, so meint die Bundesbahn, dürfe auch sie für sich in Anspruch nehmen, daß die E-Loks durchaus verkehrssicher sind. Sie ist der Auffassung, daß gefährliche Auswirkungen eines gelegentlichen Hochlaufens sich überhaupt nicht ergeben können, wenn vom Bedienungspersonal rechtzeitig die Möglichkeiten der Gegenwirkung ausgeschöpft werden.

Der Mensch hat die Verantwortung

Damit ist gesagt, daß die Technik, auch die modernste, nicht ganz vollkommen ist und es stets der ganzen Aufmerksamkeit des Menschen bedarf, wenn bei ihrer Anwendung keine Gefahren entstehen sollen. Was die fraglichen E-Loks betrifft, so wird man angesichts des Nürnberger Unglücksfalles gewiß auch von seiten der Technik alles tun, um die Maschine auch in diesem Punkt noch zu vervollkommnen.

Andererseits ist aber auch anzunehmen, daß die Männer, die im Führerstand der E-Lok auf höchst verantwortlichem Posten stehen, alles dazu beitragen, daß technisch bedingte Gefahren rechtzeitig abgewendet werden.         
 

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