Der tiefe Fall des griechischen EM-Helden

11.8.2010, 06:00 Uhr
Der tiefe Fall des griechischen EM-Helden

© Wolfgang Zink

Gestern Nachmittag. Angelos Charisteas trainiert bei den Profis mit. Letzte Woche, als der Bundesligist zum Formaufbau in Kaprun weilte, musste Charisteas zu Hause bleiben. Für ihn ist endgültig kein Platz mehr in Nürnberg. "Er hat die Erwartungen nicht erfüllt", sagte Dieter Hecking am Tag nach dem geschafften Klassenverbleib, "ich habe ihm mitgeteilt, dass er in meinen Planungen keine Rolle mehr spielt."

Der nächste Knick in einer Karriere, die eigentlich keine mehr ist. In Nürnberg dürfte er vor drei Jahren seinen letzten großen Vertrag unterschrieben haben. Mittlerweile nehmen ihn zaghafte Interessenten nicht mal mehr zur Probe. Sportdirektor Martin Bader berichtet von drei Absagen in den vergangenen Tagen.

"Eine große Chance" - vertan

Damit aber nicht genug der schlechten Nachrichten für Charisteas: Auch Griechenlands neuer Nationaltrainer Fernando Santos will künftig auf ihn verzichten. Nach 85 Länderspielen (und immerhin 24 Toren) ist Schluss. Der tiefe Fall eines EM-Helden. Seit der kontinentalen Endrunde 2004, als Charisteas seine Griechen mit drei Treffern zum Europameister machte, kam nicht mehr viel von ihm. Ende des Jahres der Wechsel zu Ajax Amsterdam, im Sommer 2006 ging es weiter zu Feyenoord, zwölf Monate später zum Club. "Nürnberg ist eine große Chance für mich", sagte Charisteas bei seiner Vorstellung - er hat sie nicht genutzt.

Warum es nicht klappen wollte mit dem teuersten Zugang der Vereinsgeschichte? "So richtig erklären kann man es nicht", sagt Bader, wie so vieles im Fußball, "es ist sportlich einfach nicht aufgegangen." Ein Stürmer, noch dazu satte 2,5 Millionen Euro teuer, wird auch in Nürnberg vorrangig an seiner persönlichen Erfolgsquote gemessen - die bis zur Winterpause 2007/2008 so schlecht nicht war.

Sorglos, wehleidig, bequem?

Vier Tore in der Liga, zwei im DFB-Pokal, drei im Uefa-Cup. Zwischendurch ein paar Wehwehchen, danach Jan Koller. Die überflüssige Verpflichtung des langen Tschechen "hat auch nicht dazu beigetragen, dass Harry wieder in Tritt kommen konnte", erklärt Bader. Die Folge: Charisteas saß normalerweise auf der Bank und ließ sich hängen. Seine südländische Mentalität, angereichert mit verletztem Stolz und verklärenden Blicken zurück in die phasenweise ruhmreiche Vergangenheit - Charisteas stand sich oft selbst im Weg.

Auch in der Mannschaft gab und gibt es kaum noch Fürsprecher. Die meisten seiner Kollegen haben ein Problem damit, wie er sich auf dem Platz gibt: taktisch undiszipliniert, sorglos, wehleidig, bequem. Den anderen, den explosiven, außergewöhnlich kopfballstarken Charisteas sah man auch beim Üben nur ganz, ganz selten. Zumindest verstand er es, seine unbestrittenen Stärken meist gut zu verstecken. Selbst vier Neuanfänge in drei Jahren (Hans Meyer, Thomas von Heesen, Michael Oenning, Hecking) brachten Charisteas nicht unbedingt weiter.

Ein Schritt zurück? 

Vom Star zur Statisten: Als kürzlich ein Internet-Portal berichtete, dass Lazio Rom an Charisteas dran sei, lauteten die Kommentare wie folgt: "Suchen die noch einen elften Mann für die Alt-Herren-Mannschaft?" Oder: "So dämlich werden die Lazio-Verantwortlichen doch wohl nicht sein." Keiner will Charisteas. Trotzdem ist Bader zuversichtlich, dass der 30-Jährige, dessen fürstlich dotierter Arbeitsvertrag in Nürnberg noch bis 30. Juni 2011 gültig ist, demnächst von der Gehaltsliste gestrichen werden kann.

Der AC Arles-Avignon, ein französischer Erstliga-Aufsteiger aus der Provence, möchte Charisteas holen, wie Bader offiziell bestätigt. Arles-Avignon. "Wenn er noch drei, vier Jahre Fußball spielen will, muss Harry jetzt wohl einen Schritt nach hinten machen", glaubt Bader. An Nürnbergs Ablöseforderung würde der mögliche Transfer jedenfalls nicht scheitern.