Fall Gsell: War der Chirurg ein reines Zufallsopfer?

25.2.2012, 10:30 Uhr
Fall Gsell: War der Chirurg ein reines Zufallsopfer?

© Stefan Hippel

„Das 16-seitige Dokument hält einige Überraschungen bereit“, erläutert Verteidiger Nils Junge. So ist in der Anklage keine Rede mehr von Autoschiebern, von der Witwe Tatjana Gsell oder deren ehemaligem Liebhaber, einem Hofer Staatsanwalt. Zwar hatte es in der Vergangenheit Strafprozesse gegen diese Personen gegeben, die auch mit Verurteilungen endeten. Keinem von ihnen war jedoch eine Tatbeteiligung an den Verletzungshandlungen nachzuweisen, die zum Tod des berühmten Nürnberger Schönheitschirurgen im März 2003 geführt hatten.

Die Staatsanwaltschaft geht vielmehr davon aus, dass es sich bei den beiden jetzt Angeklagten um Täter handelt, die zufällig an jenem Januarabend 2003 die Villa in Erlenstegen zu einem Einbruch auserkoren hatten. Die Hypothese, dass ein Zusammenhang bestand zwischen einem vorgetäuschten Überfall auf Franz Gsell und einem missglückten fingierten Autodiebstahl samt Versicherungsbetrug, hält die Staatsanwaltschaft nicht mehr aufrecht. Vielmehr geht sie davon aus, dass die zwei Rumänen sowie drei Landsleute mit einem defekten Wohnmobil an jenem 5. März 2003 am Nürnberger Ostbahnhof strandeten. Erst hier sollen die beiden auf die Idee gekommen sein, am Abend irgendwo einzubrechen, um Wertvolles sowie Bargeld zu stehlen.

Fall Gsell: War der Chirurg ein reines Zufallsopfer?

© Bernd Hafenrichter

War das Anwesen des Dr. Gsell also ein reines Zufallsobjekt? Verpassten oder begegneten sich am Ende sogar in jener schicksalhaften Nacht zwei total unabhängige Verbrecherteams in der Gsell-Villa? So sehe es die hiesige Anklagebehörde, erläutert Anwalt Junge. Deren Ausführungen stünden zum Teil im krassen Widerspruch zu früheren Erkenntnissen. Damals war ja sogar davon die Rede gewesen, dass der Hofer Staatsanwalt im Gebüsch saß, als gewissenlose Autoschieber sich in der Villa mit dem Chirurgen überwarfen. Die Staatsanwaltschaft stehe mittlerweile auf dem Standpunkt, dass keinerlei Verbindung zwischen den Hauptbeschuldigten und den bereits abgeurteilten Personen bestehe, so Nils Junge.

Der Anklage zufolge spielte sich die Tat folgendermaßen ab. Die Männer maskierten sich mit dunklen Mützen, nahmen ein Beil mit und stiegen über ein Dach ins Obergeschoss des Hauses ein. Mit einer Metallskulptur schlugen sie eine Terrassentür ein, wodurch Dr. Gsell wohl alarmiert worden sein muss. Er überraschte die Einbrecher, die von ihm Geld forderten.

Mit massiven Schlägen gegen Oberkörper und Gesicht sollen sie den 76-Jährigen gezwungen haben, einen Wandtresor zu öffnen und ihnen 5000 Euro und eine Armbanduhr hieraus zu geben. Die Einbrecher ließen zudem wohl noch weitere Schmuckstücke mitgehen. Dann fesselten und knebelten sie den Arzt. Das Beil sowie die Strickmützen, Handschuhe und andere Tatgegenstände wurden später im Garten, beziehungsweise an der B2 gefunden, als die Täter längst mit ihrem inzwischen wieder in Gang gesetzten Wohnmobil über die A3 geflohen waren. Auf Teilen dieser Stücke wurden die genetischen Fingerabdrücke des Duos gefunden. Dr. Gsell, der gesundheitlich stark angeschlagen und übergewichtig war, verstarb zehn Wochen nach dem Überfall infolge der Verletzungen durch das Einbrecherduo. So die Version der Staatsanwaltschaft.

Dem 42-jährigen Rumänen, einem Metzger und Fliesenleger, kamen die Ermittler im Sommer 2010 durch einen DNA-Treffer auf die Spur. Gegen ihn lief mittlerweile ein Verfahren in Dänemark wegen Ladendiebstahls. Auf einen Haftbefehl des Amtsgerichts hin wurde der Mann im Januar 2011 nach einem komplizierten Rechtshilfeverfahren aus Rumänien nach Deutschland überstellt. Ein ominöser Zeuge, der Besitzer des Wohnmobils, wurde offenbar zu einem wichtigen Informanten der Polizei. Er war es auch, der schließlich den 36-jährigen Mittäter benannte, der wiederum im Februar 2011 in Frankreich festgenommen und ebenfalls nach Nürnberg überstellt wurde.

Beide Männer wurden, wie mehrfach berichtet, durch einen Beschluss des Oberlandesgerichts nach zwölfmonatiger Untersuchungshaft auf freien Fuß gesetzt. Die Richter begründeten die Entscheidung mit der langen Ermittlungsdauer und einem Verstoß der Staatsanwaltschaft gegen das Beschleunigungsgebot. Die freigelassenen Angeklagten sollen sich wieder in ihrer Heimat befinden. Es wird bei der Justiz allgemein für unwahrscheinlich gehalten, dass sie sich jemals einem Prozess in Nürnberg stellen werden, müssen sie doch im Falle einer Verurteilung mit erheblichen Freiheitsstrafen rechnen.

Tatjana Gsell ist derweil übrigens unbekannten Aufenthalts. Versuche der Staatsanwaltschaft, sie im Zuge der neuerlichen Ermittlungen zu kontaktieren, verliefen im Sande. Der Hofer Staatsanwalt, der 2005 ebenfalls wegen versuchten Versicherungsbetrugs sowie des Vortäuschens einer Straftat zu einer Bewährungsstrafe von 15 Monaten verurteilt worden war, arbeitet mittlerweile in einer renommierten Anwaltskanzlei.
 

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