Starb acht Wochen altes Baby durch Arztfehler?
28.4.2014, 20:48 UhrDie Zwillinge Ida und Selina, die Anfang Dezember 2010 auf die Welt kamen, waren der ganze Stolz der jungen Eltern. Weil Ida oft spuckte, empfahl die Kinderärztin das in einer Klinik abklären zu lassen. Per Ultraschall. Nicht, dass die Kleine am Ende an einer Magenpförtnerverengung leidet. Simone und Hannes S. ließen sich einen Termin in der Cnopf’schen Kinderklinik in Nürnberg geben: für den Freitag, 28. Januar 2011.
Was dann geschieht? Eine Ärztin untersucht Ida, nimmt ihr Blut ab und legt ihr eine Infusion an. Danach soll das Baby auf die Station kommen. Für weitere Untersuchungen. Doch zwei, drei Minuten, nachdem die Ärztin die Infusion an dem Säugling angelegt hat, sackt Ida in sich zusammen. Die Ärztin hat zu diesem Zeitpunkt das Behandlungszimmer schon verlassen. Nur eine Krankenschwester ist noch da. Die entreißt Simone S. das kollabierte Kind und verschwindet. "Ich hatte keine Ahnung, was hier los ist", erzählt die junge Mutter.
Idas Herz bleibt stehen
Erst später erfährt sie, dass Idas Herz stehen geblieben ist. Ärzte reanimieren das Baby. Das Mädchen kommt noch einmal zurück ins Leben und landet auf der Intensivstation. Die besorgten Eltern fragen, was passiert ist. "Wir wissen es nicht", hätten die Ärzte zu ihnen gesagt, erinnert sich Simone S. Aber es sehe schlecht aus für Ida.
Die Eltern lassen tags darauf ihr Baby nottaufen. Und holen auf Anraten der Ärzte Idas Zwillingsschwester Selina ins Krankenhaus. Zur Vorsorge, falls eine Erbkrankheit oder dergleichen Idas Zusammenbruch ausgelöst haben und Selina ebenfalls betroffen sein sollte. Doch bei Selina finden die Ärzte nichts. Sie ist kerngesund. Ida aber erholt sich nicht mehr. Sie stirbt am Sonntag, 30. Januar 2011, um 14.12 Uhr.
Die Eltern sind am Ende. "Du gehst mit einem gesunden Kind zu einer harmlosen Untersuchung ins Krankenhaus und zwei Tage später ist dein Kind tot", erzählt Simone. Tränen schießen ihr in die Augen. Auch nach drei Jahren noch. "Es gibt nichts Schlimmeres, als ein Kind zu verlieren", sagt sie.
Nachtwache am Kinderbett
Gegen 20 Uhr verlassen die Eltern mit Selina die Cnopf’sche Kinderklinik in Nürnberg. Vorher stimmen sie noch einer Obduktion von Ida zu. "Wir hatten Angst, dass sie irgendeine seltene Krankheit hat, die uns auch noch Selina nehmen könnte", erklärt Simone S. "Mein Mann und ich sind durch die Hölle gegangen", sagt sie.
Nachts wachen die beiden an Selinas Bett, aus Sorge, die Kleine könnte plötzlich nicht mehr atmen. "Ich hatte Angst, mit Selina allein zu sein. Wenn bei ihr das Gleiche passiert? Was, wenn ich versagt habe? Wenn ich bei Ida nicht erkannt hab, dass sie todkrank ist?" Die Mutter plagen in dieser Zeit schreckliche Selbstzweifel. Sie will wissen, woran Ida genau gestorben ist, fragt bei der Staatsanwaltschaft nach dem Obduktionsbericht und bittet die Cnopf’sche Kinderklinik um ein Nachgespräch. "Ob vielleicht bei der Infusion etwas schief gelaufen sein könnte?", fragt sie. Ein Arzt soll daraufhin zu Simone S. gesagt haben: "Ich sage nicht, dass es nicht so war. Ich sage aber auch nicht, dass es so war. Wir müssen das nicht beweisen."
Dann das Gutachten der Rechtsmedizin in Erlangen: "Insbesondere spricht der klinischerseits beschriebene gute Zustand des Kindes (...) und der zeitliche Zusammenhang zwischen dem Anlegen der Dauertropfinfusion und dem Herzstillstand dafür, dass (...) eine Luftembolie als letztlich todesursächlich anzusprechen ist." Eine Luftembolie als Todesursache? Ein ärztlicher Fehler?
Ermittlungen eingestellt
Die Staatsanwaltschaft Nürnberg- Fürth ermittelt und gibt ein zweites Gutachten in Auftrag - bei Prof. Dr. Thomas Nicolai in München, einem Kinder- und Jugendmediziner. Ein normales Vorgehen. Doch der Münchner Arzt kommt in seinem Gutachten zu einem ganz anderen Ergebnis: "Es lässt sich (...) nicht nachweisen, dass eine Luftembolie die Ursache des plötzlichen Herz-Kreislaufstillstandes war. (...) Eine Fehlbedienung des Infusionssystems ist ebenfalls nicht nachweisbar und erscheint wenig wahrscheinlich." Durch die Reanimation sei die Luft in das Gefäßsystem eingedrungen. Die Staatsanwaltschaft stellt daraufhin im Februar 2012 die Ermittlungen ein.
Für Simone und Hannes S. aber ist klar: "Es war eine Luftembolie infolge Infusion." Sie geben ein Privatgutachten in Auftrag. Darin heißt es: "Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit war die Luftansammlung in den Gehirnvenen (...) durch eine fehlerhaft angelegte Infusion bedingt." Die Eltern reichen nun auf zivilgerichtlichem Wege Klage gegen die Cnopf’sche Kinderklinik ein. In einer Güteverhandlung bietet das Krankenhaus den Eltern 7500 Euro an. "Dafür sollten wir die Vorwürfe fallen lassen und nicht mehr öffentlich über den Fall reden", erzählt Simone S. Die Eltern lehnen ab. "Es geht uns nicht um Geld, sondern um eine Schuldanerkenntnis", sagen sie.
Menschen machen Fehler
Natürlich: Auch Ärzte sind Menschen und Menschen machen Fehler. Das wissen auch Simone und Hannes S. "Was am 28. Januar 2011 passiert ist, war ein Unfall", sagt Simone. "Niemand hat das mit Absicht gemacht." Trotzdem: "Mein Kind hatte ein Recht auf Leben. Ich will die Wahrheit." Die sei die Klinik ihrem Kind schuldig. "Aber man steht hier einer Macht gegenüber, gegen die man nichts ausrichten kann", sagt sie resignierend.
Das Gericht hat mittlerweile ein weiteres kinderfachärztliches Gutachten eingeholt. "Eine Luftembolie hätte in Folge der intensiven und relativ lang andauernden Wiederbelebung des Kindes auftreten können. Dies erscheint aber im vorliegenden Fall unwahrscheinlich, da sich aus der Obduktion keine hinweisenden Befunde ergaben (...)", heißt es darin. Und: "Der Kreislaufkollaps des Kindes, einhergehend mit Herz- und Atemstillstand, war höchstwahrscheinlich Folge einer Luftembolie via einer peripheren Vene des Kindes. Dafür spricht neben dem engen zeitlichen Zusammenhang zum Infusionsbeginn die Tatsache, dass sich das Kind vor diesem Ereignis in stabilem Zustand befand und somit vorbestehende Erkrankungen als Ursache des fatalen Verlaufes unwahrscheinlich sind." Also doch?
Die Klinik schweigt zu den Vorwürfen. "Bei schwebenden Verfahren äußern wir uns nicht", erklärt Christian Treinies, Sprecher der Cnopf’schen Kinderklinik gegenüber der HZ. Am 30. April soll das Urteil fallen.
Keine Kommentare
Um selbst einen Kommentar abgeben zu können, müssen Sie sich einloggen oder sich zuvor registrieren.
0/1000 Zeichen