Wildschwein-Plage: Jäger werden Tieren kaum Herr
16.2.2014, 14:54 UhrEin Grund für die wachsende Zahl an Schwarzkitteln: „Die Veränderungen in der Naturlandschaft“, sagt Karl-Heinz Inzelsberger, Vorsitzender der Jägervereinigung Pegnitz. Mit der zunehmenden Anzahl von Biogasanlagen etwa hat sich die Anbaufläche von Mais drastisch erhöht. Der Mais wiederum bietet den Wildschweinen eine enorm gute Deckung, „und die Flächen sind oft riesengroß“, sagt Inzelsberger. In schneelosen Wintern sind zudem keine Spuren auszumachen.
Die Tiere sind intelligent und wissen sich zu verbergen. Alles Faktoren, die die Jagd nicht vereinfachen. Große Eichelmengen und milde Winter tun über das reichhaltige Nahrungsangebot ein Übriges, die Population weiter in die Höhe zu treiben. Die hat zudem über Zuzug von außerhalb vor Jahren Nachschub erhalten: „Wir haben festgestellt, dass sich die Anzahl mit dem Fall der Mauer und der Grenzöffnung schlagartig erhöht hat“, erzählt der Jäger. Denn die Sau an sich ist offenbar nicht nur neugierig, sondern auch reiselustig und mitnichten territorial gebunden: „15 Kilometer in einer Nacht marschieren Wildschweine ohne weiteres, und ein Keiler auf Brautschau legt locker 50 Kilometer zurück“, weiß Inzelsberger.
Und: Die Schwarzkittel bleiben da, wo sie sich wohl fühlen und nicht gestört werden. Das ist inzwischen selbst in Gegenden der Fall, in denen es noch nie Wildschweine gegeben hat, wie etwa „im Hochgebirge“. „Früher, so vor 30 Jahren, war eine geschossene Sau fast so etwas wie ein kleines Volksfest. Die Zeit ist vorbei. Heute sind 50 tote Schwarzkittel nach einer erfolgreichen Drückjagd eher Regel als Ausnahme.“
Abschüsse ohne Effekt
Zum Vergleich: Wurden Mitte der 1980er Jahre 9000 Wildschweine in Bayern geschossen, waren es in der Jagdsaison 2013 schon 66000 – und dies offenbar, ohne die Zahl nachhaltig zu reduzieren. Schließlich kann der Frischling aus dem Frühjahr bereits im Herbst eine tragende Bache sein. „Fünf erlegte weibliche Tiere bedeuten dabei 40 Tiere weniger im Jahr darauf“, erklärt Inzelsberger.
Der Zuwachs ist über den klassischen „Alleinansitz“ nicht mehr in den Griff zu bekommen. „Im Grunde bleibt nur der Herbst, um die Bestände über revierübergreifende große Drückjagden zu reduzieren. Daran sind dann 120 bis 150 Jäger beteiligt. Sonst haben wir keine Chance.“ Das Ziel: die zunehmenden Schäden in der Landwirtschaft in den Griff bekommen, das Risiko von Wildunfällen reduzieren. Es ist aber noch eine ganz andere Sorge, die Inzelsberger umtreibt: die Angst vor der Schweinepest. Das Risiko, dass Wildschweine an dem Virus erkranken, steigt ebenfalls mit zunehmender Populationsdichte.
Und: „Ein Ausbruch wäre der Wahnsinn, der Schaden für die Landwirtschaft immens.“ „Deshalb müssen hier alle an einem Strang ziehen“, sagt Inzelsberger. In Bayern sind dazu bereits 2012 fünf Pilotprojekte auf den Weg gebracht worden, auch die Pegnitzer Jägervereinigung ist mit von der Partie. Eine einfache Lösung wird es nicht geben. „In der Sache wird viel diskutiert, sich ausgetauscht – und das ist auch gut so“, sagt Inzelsberger. Ergebnisse werden voraussichtlich im März vorgestellt. Er wünscht sich eine Lösung für die problematische Entwicklung und im Ergebnis ein verträgliches Nebeneinander von Mensch und Wildschwein.
Letzteres sei keinesfalls „kein Schädling, sondern ein hervorragendes Lebensmittel“. Schließlich sollen die Schwarzkitteln nicht nur bejagt, sondern natürlich auch gegessen werden. Grundsätzlich eine wohlschmeckende Angelegenheit, allerdings gibt es vor allem im süddeutschen Raum eine Dreingabe: Fast 30 Jahre nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl sind Wildarten – und hier insbesondere das Wildschein – zum Teil stark mit Cäsium 137 belastet.
Eigene Mess-Station
Laut Bundesamt für Strahlenschutz sind in den Jahren 2010 bis 2012 bis zu rund 9800 Becquerel pro Kilogramm beim Wildschwein und 430 Becquerel bei Rehwild gemessen worden. In Deutschland ist es nicht erlaubt, Lebensmittel mit einem Radiocäsiumgehalt von mehr als 600 Becquerel pro Kilogramm (ein von der Europäischen Kommission festgelegter Grenzwert) in den Handel zu bringen. Jedes erlegte Wildschwein wird deshalb auf eine mögliche Verstrahlung hin überprüft. „Wir haben hier in Pegnitz eine eigene Mess-Station“, sagt Inzelsberger.
Die Zahl der kontaminierten Tiere gehe derzeit zurück. „Bei uns waren diesmal etwa fünf Prozent der erlegten Tiere belastet.“ Die Strahlenbelastung fällt dabei jahreszeitlich bedingt unterschiedlich aus und ist laut Bundesamt für Strahlenschutz dem Ernährungsverhalten der intelligenten Säuger geschuldet: In strengen Wintern ernähren sich die nämlich vor allem vom Hirschtrüffel, ein Pilz, der stark kontaminiert ist.
Mit kontaminierten Tieren ist auch Frank Pirner, Leiter des Forstbetriebs Pegnitz, konfrontiert: 180 Wildschweine sind im vergangenen Jagdjahr in seinem Zuständigkeitsbereich erlegt worden (im Jahr davor: 200), bei knapp vier Prozent lag die Strahlenbelastung über dem Grenzwert. Nur ein Drittel der Tiere wies keinerlei Spuren auf.
Tiere werden verbrannt Was mit den Wildschweinen passiert, die wegen der zu hohen Belastung nicht in den Handel gelangen dürfen? „Sie werden verbrannt“, sagt Pirner. Ihre Endstation ist die Tierkörperbeseitigung. Was die nun exakte Zahl der Wildschweinpopulation anlangt, sind die Beteiligten im Übrigen auf Anhaltspunkte angewiesen: „Schwarzwild lässt sich nicht zählen“, hält Pirner fest. Einen Hinweis auf die Bestandsdichte liefern die Zahl der angerichteten Wildschäden sowie die Zahl der erlegten Tiere. Beides ging heuer in seinem Bereich leicht zurück. Aber, winkt Pirner ab, „es ist noch zu früh, um tatsächlich von einer Tendenz zu sprechen“.
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