"Das Handwerk wird von den Stadtwerken ausgebootet"

26.5.2017, 18:50 Uhr

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Das Zauberwort heißt Contracting: Die Hauseigentümer und Mieter bekommen von den Stadtwerken Neumarkt alles aus einer Hand. Eine eigene Abteilung des kommunalen Eigenbetriebes plant die Heizungsanlagen, beschafft das Kapital, finanziert Blockheizkraftwerk oder Gasheizung; eigene Handwerker der Stadtwerke bauen die Anlagen ein, warten sie und sind zur Stelle, wenn Störungen auftreten. Der Versorger liefert die vertraglich vereinbarte Wärmemenge in der Regel über einen Zeitraum von 15 Jahren. Über die eigene Investition in eine Heizungsanlage muss der Bauherr nicht mehr nachdenken – die Zeche samt Marge für den Contracting-Partner Stadtwerke zahlt in der Regel der Mieter.

1600 Wohneinheiten

Genaue Zahlen sind nicht bekannt, aber das Stadtwerke-Contracting dürfte ein Millionengeschäft sein. Nach Angaben von Stadtwerke-Direktor Dominique Kinzkofer versorgt das städtische Unternehmen inzwischen rund 1600 Wohneinheiten und dazu gewerbliche und öffentliche Objekte.

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Die Energie stammt laut Kinzkofer aus sechs Nahwärmezentralen im Freibad, in der Dr.-Eberle-Straße, in der Bräugasse, Theo-Betz-Schule, im Neuen Markt und in der Wolfsgasse. Martin Rohrmüller von den Stadtwerken hat kürzlich bei einer Fachtagung von 17 eigenen Blockheizkraftwerken berichtet. Alle Energieerzeuger produzieren auch Strom im Gigawattbereich, den die Stadtwerke gewinnbringend ins eigene Netz einspeisen. "Ein sehr erfreuliches Ergebnis", zieht Direktor Kinzkofer Bilanz.

Diese Freude können die handwerklichen Gegenspieler der Stadtwerke überhaupt nicht teilen. Bei der Jahresversammlung der Innung Heizung-Sanitär Neumarkt hat Obermeister Josef Fruth kürzlich Alarm geschlagen. Er vertritt 62 Mitgliedsbetriebe mit rund 1500 Mitarbeitern. Im NN-Gespräch nimmt er kein Blatt vor den Mund: "Die Stadtwerke erstellen vor allem in sehr zentralen Mietobjekten die Heizungsanlagen selber, wir werden regelrecht ausgebootet. Ich kenne keinen Innungskollegen, der in den letzten drei Jahren einen Auftrag der Stadtwerke bekommen hat."

"Für immer verloren"

Und dabei geht es nicht nur um den Auftrag für die Erstellung der Heizungen: Innungsobermeister Fruth beklagt, dass durch die lange laufenden Wartungsverträge die "Kunden für uns für immer verloren sind, wir kommen in das Haus nicht mehr rein". Fruth im NN-Interview: "Das sind etliche Millionen, die uns da verloren gehen." Diese sehr starke Konkurrenz sei für manchen Handwerksbetrieb "existenzgefährdend". Die Folgen des massiven Wettbewerbs durch die Stadtwerke würden im Moment durch die glänzende Baukonjunktur zwar verdeckt, aber dies könne sich schnell wieder ändern.

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Der Obermeister: "Wenn uns am Ende fünf oder zehn Millionen Euro fehlen, dann ist das ein Haufen Geld." Die Innung bekommt auch Rückhalt von der Kreishandwerkerschaft. Geschäftsführer Sebastian Meckl meint: "Es tut nicht Not, dass die Stadtwerke in dieser Weise dem Handwerk Konkurrenz machen." Lukas Wolte, Sprecher der Neumarkter Gebäudetechnik-Firma Petry, hält den Neumarkter Stadtwerken das Marktverhalten vergleichbarer Versorger in anderen Kommunen vor: Auch dort gebe es Contracting der Kommunalunternehmen, aber die würden in der Regel mit lokalen Handwerksbetrieben zusammenarbeiten — und keine eigene Sparte aufbauen. "Falsch" sei das Verhalten der Neumarkter Stadtwerke, "den örtlich ansässigen Betrieben die Arbeit wegzunehmen", meint Petry-Sprecher Wolte im NN-Interview.

"Wo ist der Auftrag?"

Stefan Rödl von Rödl Energie — auch ein Wettbewerber der Stadtwerke — bezeichnete es als "fragwürdig", dass der kommunale Eigenbetrieb den privaten Handwerksunternehmen in dieser Form das Leben schwer mache. Es gebe sicher Fälle, in denen Firmen die "Existenzgrundlage entzogen" werde, sagte Stefan Rödl, der auch IHK-Vizepräsident ist. Und der Energieunternehmer stellt die Frage: "Wo ist der Auftrag der Stadtwerke?"

Der Kurs seines Unternehmens auf diesem Feld werde regelmäßig in Form des Wirtschaftsplanes — er ist Teil des kommunalen Haushaltes — "von der Politik begleitet, goutiert und gewünscht", ist sich Stadtwerke-Direktor Kinzkofer sicher. Sein Unternehmen sei nur ein Anbieter unter mehreren. Und die Konkurrenz habe "nicht nur ihre Chance, sondern auch ihren Erfolg". Kinzkofer: "Wir stellen uns dem Wettbewerb, das ist nicht verboten, das ist gut so, wir verstecken uns nicht."

Unklar ist NN-Recherchen zufolge, mit welchen Kapazitäten die Stadtwerke das Geschäftsfeld überhaupt bearbeiten. Obermeister Fruth vermutet, dass die Abteilung fünf bis zehn Beschäftigte umfasst. Dort sei ein Heizungsbau-Meister beschäftigt. Von mehreren Innungsbetrieben seien fertige Monteure abgeworben worden. Im Fall einer Neumarkter Firma seien es acht Mitarbeiter und eine Bürokraft gewesen. Auch Petry-Sprecher Wolte hat seine Probleme damit, dass "der örtliche Grundversorger den Handwerksbetrieben die dringend benötigten Fachkräfte wegnimmt". Energieunternehmer Rödl sieht auch dies als Teil des "unfairen Wettbewerbs".

"Nicht glücklich"

Stadtwerke-Direktor Kinzkofer gab die Mitarbeiterzahl der hauseigenen Contracting-Abteilung entgegen der Vermutung der Innung mit nur vier Personen an — sowohl für die Planung und Projektierung als auch für die technische Ausführung der Heizungsanlagen. Zu dem Szenario der Innung sagte Kinzkofer: "Ich wüsste nicht, wo die Mitarbeiter herkommen sollten." Zu dem Abwerbe-Vorwurf erklärte der Stadtwerkechef, es seien "Bewerbungen gekommen" und man habe drei Mitarbeiter übernommen. "Das ist nicht glücklich, aber eben so passiert."

Schließlich sehen die Stadtwerke-Kritiker ein wettbewerbsverzerrendes Moment darin, dass der Kommunalversorger angeblich keine Gewerbesteuer an die Kommune abführen müsse. Dem trat Dominique Kinzkofer auf NN-Anfrage entgegen: "Im Bereich des Wärmecontractings gibt es für die Stadtwerke Neumarkt keine Befreiung von der Verpflichtung zur Zahlung der Gewerbesteuer, unabhängig davon, ob es sich um öffentliche oder private Kunden handelt."

Markt ausgeschöpft?

Ist bei Heizungen und Contracting praktisch der Kuchen schon verteilt und die Diskussion nur Vergangenheitsbewältigung? Laut Stadtwerke-Direktor sei der Markt und das Potenzial "endlich und zum größten Teil ausgeschöpft". Und weiter: "Da ist eine gewisse Sättigung erreicht." Bei einer Fachtagung des Netzwerkes Energieeffizienz in Neumarkt hat sich das im April noch anders angehört. Kinzkofers Mitarbeiter Martin Rohrmüller erklärte: "Wir sind dabei, das Geschäftsfeld auszubauen, das ist ein Bereich, der sich rechnet, da schreiben wir Schwarze Zahlen."

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