Neumarkt: Blindgänger schlummern unter der Erde

11.4.2015, 17:00 Uhr
Neumarkt: Blindgänger schlummern unter der Erde

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Lila, orange, gelb. Das sind die Farben, in denen Werner Schütt, zuständig für das Bombenkataster der Stadt, denkt, wenn sich Bürger mit einem Bauvorhaben an ihn wenden. Lila, das steht in dem geografischen Informationssystem für intensive Bombardierung und damit eine erhöhte Belastung durch potenzielle Blindgänger, orange für mittlere, gelb für weniger ausgeprägte.

Neumarkt: Blindgänger schlummern unter der Erde

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Nach Angaben der Amerikaner, die ihre Angriffe mit Luftbildern dokumentierten, warfen 74 Maschinen in der ersten Angriffswelle am 23. Februar 1945 843 500-Pfund GP-Bomben (250 Kilo Mehrzwecksprengbomben) ab. Am 11. April erschienen um 13.52 Uhr 71 Maschinen in fünf Gruppen von Norden her am Himmel und warfen 349 1000-Pfund- und zwölf 500-Pfund Bomben.

Die Schwarz-Weiß-Aufnahme, die der Stadt kurz nach dem Weltkrieg überlassen wurde und über die Schütt nun den Finger gleiten lässt, zeigen Hunderte Einschlagskrater. Rund zehn Meter Durchmesser haben sie und sind besonders gut zu erkennen, weil sie sich mit Grundwasser gefüllt haben und daher dunkel erscheinen. Da die Bomben aus den Flugzeugschächten in einem bestimmten Takt fielen, sind die Einschläge wie Perlen an einer Kette mit einem bestimmten Abstand zu sehen. Fehlt ein Glied, ist das als Hinweis auf einen Blindgänger zu lesen, der wegen eines Materialfehlers nicht explodiert ist und noch immer teils zwei bis drei Meter tief im Boden liegt. Auf fünf bis sieben Prozent der rund 1200 Bomben schätzt ein Gutachten, in dem die Bilder ausgewertet wurden, ihre Zahl.

Warnung bei jedem 10. Antrag

Obwohl seither viel Grund bebaut wurde, enthalten noch heute rund zehn Prozent der etwa 300 Bauanträge, die jährlich eingereicht werden, den Hinweis, dass mit Kampfmitteln zu rechnen sei. Stabbrandbomben, Granaten, Sprengbomben und diverse explosive Geschosse birgt noch immer die Neumarkter Erde.

Wer nun meint, dass etwas, das so lange begraben liegt, keinen Schaden mehr anrichten kann, irrt. Zwar habe es seit der Einführung des Bombenkatasters im Jahr 1995 in Neumarkt keine Verletzten durch Detonation alter Bomben gegeben; das sei jedoch nicht nur Fortuna geschuldet, sondern liege auch an der Sorgfalt, die die meisten Bauherren walten lassen, sagt Schütt. Denn wer einen Warnhinweis in seiner Baugenehmigung erhält, komme zumeist der Verpflichtung nach, den Boden von Kampfmittel-Experten prüfen zu lassen.

Mit einer Messsonde geht es an die Arbeit. An dem Kanal, den eine Fliegerbombe in den Untergrund getrieben hat, und dem (zumeist abgerissenen) Leitwerk erkennt der Fachmann, wo der Sprengkörper liegen muss. Teilweise werde dann jede Schaufelladung Erde, die der Bagger aushebt, kontrolliert, sagt Schütt. Das kostet Geld, ist jedoch, so betont der Sachgebietsleiter für Abwasser, Umwelt und Kläranlagen, eine unverzichtbare Maßnahme beim Bau im Risikogebiet. Schließlich gehe es um Menschenleben. Würde ein Bauarbeiter verletzt, weil unter seiner Schaufel eine Granate explodiert, muss sich der Bauherr hierfür mitunter vor dem Staatsanwalt verantworten.

Die Deutsche Bahn hat beim Bau des dritten Gleises im vergangenen Jahr daher ebenfalls Experten zu Rate gezogen – die in dem besonders stark belasteten Gebiet dann tatsächlich haufenweise Sprengkörper im Boden fanden. Die Stadt selbst lässt sogar in nicht als Risikogebiet ausgezeichneten Arealen Vorsicht walten. Auch bei den Baumaßnahmen am Unteren Tor sind Experten vor Ort.

Auch Karl-Heinz Wolfram vom Sprengkommando Nürnberg mahnt Bauherren dringend, sich an die Vorgaben der Stadt zu halten. Er und sein Team sind für ganz Nordbayern zuständig, sie rücken an, wenn tatsächlich eine Bombe gefunden wird. Erst im vergangenen Monat hielten rund 800 Einsatzkräfte von Feuerwehr, Rettungsdienst und Polizei den Atem an, als seine Kollegen zwei Fliegerbomben aus Nürnberger Erdreich holten.

Wolfram weiß aus Erfahrung, dass auch Jahrzehnte lang vor sich hinrostende Bomben und Granaten noch immer brandgefährlich sind. „Durch die Liegezeit wird einiges sogar noch unberechenbarer, da sich das Material vermischen kann.“ Wer bei Bauarbeiten oder womöglich gar im eigenen Garten auf etwas Undefinierbares aus Metall stößt, dem rät er, die Polizei zu verständigen. Die informiert im Zweifel das Sprengkommando, das entschärft die Bombe entweder vor Ort oder transportiert sie nach Feucht, wo sie gesichert und zersägt wird. Sein Appell: Finger weg und den Experten kontaktieren. Zumal der Einsatz des Sprengkommandos kostenlos ist.

Derselben Meinung ist Werner Schütt. Selbst in Gebieten, die nicht als Belastungsgebiete verzeichnet sind, könne immer noch etwas im Boden schlummern. Zumal viele Wehrmachtssoldaten auf der Flucht hektisch ihre Munition vergraben haben, was freilich auf keiner Karte verzeichnet ist. Auf Grund solcher Unwägbarkeiten in Panik zu verfallen, sei jedoch unnötig. Nur Vorsicht solle man walten lassen. Und, fügt er an, gelegentlich auch einmal dankbar dafür sein, dass die meisten von uns in Zeiten des Friedens geboren wurden.

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