Aussteiger von "Zwölf Stämme" spricht von Drill und Schlägen

10.6.2015, 06:00 Uhr
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Es dauert Jahre, ein System von bedingungsloser Unterordnung und systematischer Erniedrigung abzuschütteln. Das gilt erst recht, wenn man selbst am Aufbau einer solchen gnadenlosen Gemeinschaft mitgewirkt hat – so wie der heute 45-jährige Robert Pleyer. Er hat am Ende die Kraft aufgebracht, sich und seine eigenen Kinder in Sicherheit zu bringen.

20 Jahre lebt Pleyer bei den „Zwölf Stämmen“, die sich urchristlich nennen. Er gehört zum erweiterten Führungszirkel der Gruppe und ist mitverantwortlich für den Schulunterricht. „Der Satan schläft nie“ heißt das Buch (Knaur Taschenbuch, Preis: 14,99 Euro), das Robert Pleyer über diese Zeit geschrieben hat. Auch dies gehörte zur Schwerarbeit am Ausstieg. Der Titel spiele auf die ständige Warnung vor finsteren Kräften des Bösen an, mit der die Zwölf-Stämme-Führer ihren Machtanspruch über die Menschen in der Gemeinschaft durchgesetzt hätten. Pleyer hilft lange mit.

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Mit tiefem Bedauern, bisweilen auch mit Selbsthass, denkt er an diese dunkle Zeit zurück, in der er beteiligt war an Drill und Misshandlungen. In seinem Buch bestätigt er Rutenschläge auf den nackten Po von Kindern. Diese Gewalt stand im Zentrum der Vorwürfe, die Behörden 2013 veranlasste, 40 Kinder in Obhut zu nehmen.

Als Lehrer habe er, Pleyer, selbst zeitweise täglich die Weidenrute gegen seine Schüler erhoben. Das sei in „Disziplinierungsräumen“ geschehen. Er beschreibt: „Manchmal bildete sich ein kleiner Stau, weil der Raum noch nicht frei ist. Betäubt und routiniert hören die Kinder die Schreie ihrer Vorgänger und zählen die peitschenden Schläge, die ihre Freunde erhalten.“

Widerspruch nicht geduldet

Die erwachsenen Mitglieder der Gemeinschaft würden streng kontrolliert und beaufsichtigt. Widerspruch werde nicht geduldet. „Wer den Ältesten widerspricht, widerspricht Gott“ — das sei die oberste Rechtfertigung für all die Willkür gewesen. Laut Pleyer können die „Jünger“ nicht einmal heiraten, wen sie wollen. Er selbst habe 13 Jahre lang warten müssen, bis ihm eine Frau zugeteilt worden sei. Immer wieder habe es demütigende Kreuzverhöre gegeben.

Nach der verqueren Argumentation der Zwölf Stämme sei die „Erlösung“ das großes Ziel, das es damit zu erreichen gelte. Kindern wie Erwachsenen werde, so der Aussteiger, eingetrichtert: „Vergiss, was du willst und vertraue auf Gott.“ Darin unterscheidet sich die Gruppe keineswegs von anderen religiösen Fanatikern dieser Art.

Ein gescheiterter Versuch

Robert Pleyer beugt sich lange diesem eingeübten Gruppenzwang, bis das über die Maßen harte System von Regeln und Gesetzen für ihn immer unerträglicher wird. Ein erster Ausstiegsversuch scheitert 2009, weil seine damalige Ehefrau nicht mitzieht. „Und meine Familie wollte ich da noch nicht verlieren.“ 2011 schafft er den Absprung, ohne Ehefrau, aber mit den vier Kindern. Sie sind heute zwischen vier und elf Jahre alt. Er hat für sie das alleinige Sorgerecht durchgesetzt. Pleyer lebt heute mit einer neuen Partnerin als selbstständiger Gastronom im Bayerischen Wald.

Er und seine Kinder hätten die Zeit seit seinem Absprung aus der belastenden Gemeinschaft der „Zwölf Stämme“ bis heute gebraucht, um die Erlebnisse zu verarbeiten. Er sei dort einer „Gehirnwäsche“ unterzogen worden. Hinzu kam die ihn ständig begleitende Angst, die Kinder könnten ins Ausland entführt werden. „Erst jetzt fühlen wir uns einigermaßen sicher und sind mit dem Thema durch.“ Das gelang nur mit Hilfe.

Pleyers Mutter und seine Schwester haben ihn stark unterstützt. „Wenn Sie eine solche Gemeinschaft verlassen, sind Sie erst einmal obdachlos, Sie haben kein Geld und keine Krankenversicherung“, erzählt er. Wer in einer solchen Situation niemanden an seiner Seite habe, der schaffe die Loslösung kaum.

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