Babyleichen-Prozess: Was für ein Mensch ist Andrea G.?

13.7.2016, 12:51 Uhr
Seit Dienstag muss sich Andrea G. vor dem Landgericht Coburg verantworten.

© NEWS5 / Ittig Seit Dienstag muss sich Andrea G. vor dem Landgericht Coburg verantworten.

Das Leben wird vorwärts gelebt, aber erst rückwärts verstanden - eine Feststellung, deren Wahrheit wohl nirgends so sehr mit Händen zu greifen ist, wie in der Beweisaufnahme eines Prozesses. Stundenlang wird akribisch die Vergangenheit aufarbeitet, Zeugen zur genauen Erinnerung gezwungen, präzise geprüft, was einer vom Hörensagen weiß oder was er wirklich selbst erlebte.

Zeugen, so stellt die Kriminalistik regelmäßig fest, gelten zwar als das schlechteste Beweismittel, schließlich zeichnet unser Gehirn Erlebnisse nicht auf, wie ein Videorekorder, doch wie anders könnte man sich der Vergangenheit nähern? Was für Menschen sind Andrea G., die 45-jährige Mutter, die acht Babyleichen versteckt hat, und ihr Ehemann, der zehn Jahre ältere Johann G., der zwar bemerkte, dass sie mal dick, dann wieder dünn war, doch dem ihre acht Schwangerschaften angeblich entgingen?

Wallenfels, so sagt Johann G.s erste Frau Daniela im Zeugenstand, sei ein kleiner Ort, da kenne jeder jeden - und so kam es, dass sie, die mit Johann G. von 1985 bis 95 verheiratet war, schon damals Andrea gekannt hat; die beiden Frauen arbeiteten im Schichtdienst bei der Firma Löwe in Kronach und bildeten eine Fahrgemeinschaft. Besondere Gespräche, so sagt die Zeugin, habe man damals im Auto nicht geführt, in Erinnerung sei ihr aber geblieben, dass Andrea damals ihre erste Schwangerschaft bis zum Tag vor der Geburt für eine Blinddarmentzündung hielt, eine Verwechslung, die im Kollegenkreis für Gesprächsstoff sorgte.

Ex-Frau berichtet über Eheprobleme

Jahre später war die Ex-Arbeitskollegin die neue Frau ihres Ex-Mannes. Ihre eigene Ehe mit Johann G., so schildert es die Zeugin, sei an unterschiedlichen Vorstellungen gescheitert: Ihr habe gefehlt, dass ihr Ex-Mann so schlecht Gefühle zeigen könne, ein Miteinander habe sie vermisst, er sei eher für sich gewesen, doch den beiden gemeinsamen Kindern sei er ein liebevoller Vater gewesen. Es sind diese zwei gemeinsamen Kinder, die die geschiedenen Eheleute bis heute verbinden - die Tochter und der Sohn blieben auch nach der Scheidung in ihrem Elternhaus bei Johann G. wohnen.

Sie erzählten ihrer Mutter später vom Leben mit der Stiefmutter - im Oktober 2002 zog Andrea in das Haus, in dem Johann G. mit seinen Kindern und seinen Eltern wohnte, ein. Nach der Geburt von Zwillingen und einer weiteren Tochter lebte dort recht schnell eine Großfamilie. Es habe Probleme in dieser Ehe gegeben, berichtet die Ex-Frau, eine Trennung wäre für Johann G. nicht in Frage gekommen, seine Angst vor hohen Unterhaltszahlungen für die Kinder sei groß gewesen, nie hätte er das Haus halten können. Andrea G. sei eine Frau gewesen, die in der Öffentlichkeit freundlich auftrat, oft überschwänglich grüßte - doch hinter der Fassade, so weiß die Ex, habe sie den Haushalt vernachlässigt, ihren beiden Stiefkindern das Kindergeld vorenthalten und das Geld offenbar für Kleidung und Modeschmuck verjubelt.

Johann G. musste sich Geld leihen

Manchmal sei der Postbote mit Päckchen vom Versandhandel dreimal in der Woche gekommen - doch Rechnungen habe Andrea G. häufig versteckt, das Konto ihres Ehemannes habe sie geplündert. Johann G. habe das wahre Ausmaß erst im vergangenen Oktober, nach dem Auszug von Andrea G., bemerkt - "da hat er sich jahrelang wohl nicht gekümmert", kommentiert die Zeugin. Bereits in ihrer Ehe sei sie es gewesen, die die Finanzen im Blick behielt. Es war sein Bruder, der Johann G. nach Andrea G.s Auszug finanziell aus der Patsche half, 10.000 Euro habe er Johann G. im Oktober 2015 geborgt und am 12. November informierte ihn Johann G. telefonisch, dass ihm allein mit Geld nicht zu helfen sei - es war der Tag, an dem in dem Mehrfamilienhaus in Wallenfels die Babyleichen gefunden wurden und Andrea G. mit ihrem Liebhaber längst weg war.

"Ein Horror", sagt er, und gesteht, dass er sich bis heute die Frage stelle, warum er nichts von den Schwangerschaften gesehen habe - schließlich sei es bei drei bis vier Familienbesuchen im Jahr "ganz sicher so, dass ich die Andrea mal schwanger gesehen habe". Die Andrea, so berichtet eine 35-jährige Zeugin aus Wallenfels, die das Ehepaar G. von der örtlichen Wasserwacht kennt, sei mal dicker, mal dünner gewesen, an Schwangerschaften habe sie nie gedacht, mit ihrer Vorliebe für Lebkuchen nehme sie doch selbst jeden Winter zu und bemühe sich im Sommer, wieder abzunehmen - das sei doch ganz normal.

Und, so erklärt sie, als Frau würde sie nie eine andere Frau fragen, ob diese zugenommen habe. Im Nachhinein käme ihr jedoch ein Erlebnis im Fasching 2004 oder 2005 merkwürdig vor: In der Kneipe habe sie mit Andrea G. gefeiert und obwohl es heiß war, sie selbst habe unter ihrer Faschingsperücke geschwitzt, wollte Andrea G. partout ihren Mantel nicht ausziehen.

Am ersten Prozesstag hat Andrea G. ein Geständnis abgelegt.