Im Stadtrat dominiert derzeit die kalkulierte Konfrontation Fachanwalt rät dringend zu Neuausschreibung

18.5.2018, 19:42 Uhr
Im Stadtrat dominiert derzeit die kalkulierte Konfrontation Fachanwalt rät dringend zu Neuausschreibung

© Foto: Peter Roggenthin

Hut ab vor Annette Prechtel. Die FGL-Fraktionschefin hatte 2015 ihren Verzicht auf eine Kandidatur für das Amt der Oberbürgermeisterin so begründet: Es gebe für ihre Politik im bestehenden Stadtrat keine Mehrheit. Sie müsste im Falle ihrer Wahl die Mehrheitsbeschlüsse von CSU, JB, FDP und FBF vollziehen. Dafür stehe sie nicht zur Verfügung. Auch Uwe Kirschstein (SPD) konnte nicht auf eine Mehrheit hoffen. Er stellte sich trotzdem zur Wahl, vielleicht verhalf ihm sogar der grüne Verzicht zu entscheidenden Stimmen. Heute aber sieht er sich genau der Situation gegenüber, die Prechtel vorausgesagt hatte.

In Sachen Rathaussanierung umfasst die informelle Koalition sogar noch große Teile der FGL und einen SPD-Stadtrat. Sie sorgte am Donnerstagabend (wie kurz berichtet) dafür, dass der wichtige Punkt (siehe dazu den gelben Kasten) von der Tagesordnung abgesetzt wurde. Im Januar hatte der Stadtrat beschlossen, die Planungsleistungen für die Generalsanierung ab Leistungsphase fünf europaweit neu auszuschreiben. Gleichzeitig wurden vorsorglich die Verträge mit den sechs bisher beauftragten Architekten und Planern gekündigt. Einer von ihnen wehrt sich seither dagegen und führt auch juristische Argumente ins Feld. Argumente, die der Fachanwalt für Vergaberecht, den die Stadt zu Rate zieht, für nicht stichhaltig hält.

Doch um juristische Fragen geht es offenbar einer Mehrheit im Stadtrat gar nicht mehr. Im März wurde das Thema europaweite Ausschreibung vertagt. Dann beauftragte der Stadtrat den FDP-Rat Sebastian Körber, die städtischen Akten unter die Lupe zu nehmen: Man misstraute den Aussagen des OB und städtischer Mitarbeiter. Körber gab dem Misstrauen am Donnerstag erneut kräftig Nahrung, ohne sich näher äußern zu können.

Dieselbe Verwaltung, die unter OB Franz Stumpf aus Sicht der Mehrheit fast immer top war, scheint nun unter Kirschstein ein Flop zu sein. Jedenfalls wenn es um die Vorbereitung der Generalsanierung des Rathauses geht. An vorderster Stelle der Anti-OB-Koalition stehen Udo Schönfelder (CSU) und Manfred Hümmer (FW). Letzterer, dreimal als OB-Kandidat gescheitert, kündigte gestern auf der NN-Facebook-Seite an: "Keine vierte OB-Kandidatur."

Schönfelder, Sprecher der größten Fraktion, sieht sich als Oppositionsführer. Als solcher organisiert er unermüdlich die kalkulierte Konfrontation. Das geht so weit, dass vor der Sitzung in aller Öffentlichkeit abgesprochen wird, wer welchen Wortbeitrag abgibt und welchen Antrag stellt.

Teil dieser Front ist heute auch Annette Prechtel. Sie ist, sagt sie, "nicht davon überzeugt", dass die europaweite Ausschreibung wirklich nötig ist. Angesichts der unterschiedlichen Bewertung der Rechtslage neigt sie zu der Ansicht, die Neuausschreibung könnte wegen vergaberechtlicher Fehler im Endeffekt Fördermittel kosten.

OB, Verwaltung und Fachanwalt argumentieren genau anders herum. Der fragliche Architekt, sagen sie, kann sich ja neu bewerben. Seine Leistungen laufen ohnehin im September aus. Sie drängen aber darauf, die mehrfach verschobene Entscheidung zur europaweiten Ausschreibung endlich zu treffen, "sonst haben wir wirklich einen Verzug bei der Sanierung", wie OB Kirschstein gestern den NN sagte.

Er werde daher den Punkt in der Juni-Sitzung erneut auf die Tagesordnung setzen: "Ich befürchte allerdings, der Stadtrat wird wieder nicht entscheiden." Kirschstein verhehlt seine Enttäuschung nicht: "Auch ein Nein wäre für mich ja in Ordnung." Hauptsache, es fällt eine Entscheidung. Sieht der OB die Haltung der Mehrheit politisch motiviert? "Ich weiß es nicht", sagt er.

Aber: "Die Rathaussanierung ist nicht das richtige Terrain für ein politisches Spielchen, dafür ist das Thema zu ernst." Er frage sich aber, so Kirschstein, ob sich manche Stadträte mehr einem Architekten verpflichtet sehen als dem Wohl der Stadt: Die Weigerung des Stadtrates, eine Entscheidung zu treffen, "schrappt für mich nahe am Tatbestand der Fahrlässigkeit vorbei".

Während die Mehrheit sagt, sie hätte vor einer Entscheidung halt gerne gehört, was ihr Sonderbeauftragter Körber bei der Akteneinsicht herausgefunden hat. Die aber noch gar nicht abgeschlossen ist. Körber darf eigentlich noch nichts sagen. In einer Sitzungspause ließ er die Kollegen aber schon mal wissen, er verfüge über Informationen, die den offiziellen Verlautbarungen der Verwaltung widersprechen. Dabei geht es auch um Fragen wie: Wer wusste und sagte wann wem was?

OB Kirschstein wehrte sich vehement dagegen, dass Körber redet. Er habe eine Verschwiegenheitserklärung unterzeichnet, müsse dem Stadtrat schriftlich berichten und so der Verwaltung Gelegenheit geben, Stellung zu beziehen. Misstrauen auf allen Seiten.

Zu einer verträglichen Atmosphäre trägt auch nicht bei, wenn der OB Wortbeiträge von Stadträten, die für ihn schwer zu ertragen sind, mit mal launigen, mal zynischen Kommentaren begleitet. Man ist zurzeit ziemlich schnell beleidigt als Stadtrat. Aber auch als OB.

Im Übrigen, so Kirschstein, werde er 2020 wieder für das Amt des OB kandidieren: "Ich plane schon für die Zukunft. Die Baustellen, die ich heute habe, werde ich trotz aller Bemühungen bis 2020 nicht alle fertiggestellt haben." Das jedenfalls wird niemand bezweifeln.

Arnd Bühner aus Nürnberg ist Fachanwalt und Uni-Dozent für Vergaberecht. Mehrfach trug er in nichtöffentlicher Sitzung dem Stadtrat vor, was er in Sachen Generalsanierung des Rathauses für richtig hält: die europaweite Ausschreibung der Planungs- und Architektenleistungen. Wer hier einen Fehler macht, riskiert den Verlust von Fördermitteln.

Bei einer Investition mit einem Volumen von geschätzt 15,5 Millionen Euro ist jeder Cent Förderung willkommen. Neu ist laut Bühner gegenüber der Ausschreibung vor dem Sommer 2017, dass das Rathaus seit einem entsprechenden Stadtratsbeschluss kein Verwaltungssitz mehr, sondern Versammlungsstätte sein soll. Hierfür gelten andere Förderrichtlinien.

Außerdem sei es inzwischen als Denkmal von nationaler Bedeutung eingestuft. Auch das ändere die Voraussetzungen für Fördermittel.

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