Kirschstein und Forchheim: Eine Liebesgeschichte?

2.10.2019, 18:07 Uhr
Einstimmig zum Spitzenkandidaten der SPD gewählt: Forchheims OB Uwe Kirschstein.

© Philipp Rothenbacher Einstimmig zum Spitzenkandidaten der SPD gewählt: Forchheims OB Uwe Kirschstein.

Und mit ihnen auch ihr Spitzenkandidat, der es 2016 geschafft hatte, mehr als ein halbes Jahrhundert christsoziale Vorherrschaft im Rathaus zu beenden. Damals ein mittelschweres Polit-Erdbeben.

Und heute, dreieinhalb Jahre später? Hat sich das Beben weitgehend gelegt, auch wenn manche Fraktion noch immer mit dem Wechsel an der Stadtspitze hadert, ihn möglichst schnell (am 15. März 2020) wieder rückgängig machen will. Dazu die unerwartete Konkurrenz, die auf der grünen Welle reitet.

Doch an diesem Abend präsentieren sich die rund 50 sozialdemokratischen Genossinnen und Genossen entschlossen – und einig. Fraktionsvorsitzender Reiner Büttner schlägt Kirschstein der Form halber als OB-Kandidaten vor.

Die Jahre mit Kirschstein als Rathaus-Chef seien schon jetzt eine „Erfolgsgeschichte“, so Büttner. Ist es auch eine Liebesgeschichte? Die Frage ist berechtigt, weil sich die SPD-Fraktion zuletzt im Schrumpfmodus befand, erst wechselte Günther Hammer die Farben, dann Reinhold Otzelberger und Albert Dorn — drei Urgesteine der SPD. Dazu der beispiellose Absturz der Bundes- wie Landes-SPD in der Wählergunst. Keine harmonische Begleitmusik.

20 Männer, 20 Frauen: Die Stadtratskandidaten der SPD für die Wahl 2020.

20 Männer, 20 Frauen: Die Stadtratskandidaten der SPD für die Wahl 2020. © Philipp Rothenbacher

Dennoch betont der Leiter der Aufstellungsversammlung, SPD-Unterbezirkschef Jonas Merzbacher, dass die Partei eine feste Größe im Freistaat bleibe: „Man kann in Coburg in den Zug einsteigen und bis runter nach Garmisch fahren: Man fährt fast nur durch rote Ortschaften.“ Er verkündet das Mantra des Abends: „Kommunalwahlen sind Persönlichkeitswahlen.“ Mit „unserem Uwe“ habe die SPD eine „tolle Persönlichkeit“, die „ohne Schonfrist in nur dreieinhalb Jahren Großartiges geleistet hat“.

Und die sich schon 2016 mit dem vermeintlichen Makel herumschlagen musste, kein „echter“ Forchheimer zu sein, zumindest aus fränkisch-orthodoxer Sicht. Doch diese Schwäche war und ist auch die Stärke des Mannes aus dem Hunsrück: ein unverbrauchter, unvoreingenommene Blick auf ein Forchheim, das vor ihm ganz selbstverständlich in christsozialer Hand war.

Nach der 15-minütigen Bewerbungsrede ist aber auch klar: Verlässt sich Kirschstein nur auf seine Ausstrahlung und Worte, wird es ein harter Kampf. Nahbar, gesellig, charismatisch – Adjektive, mit denen man bei ihm ein wenig fremdelt. Für derlei hatte er bislang seinen Stellvertreter Franz Streit (CSU). Kirschstein selbst wirkt meist distanziert, sachlich, kühl – und er kann flapsig bis unverholen genervt sein, wenn Stadtrats-Diskussionen in Spitzfindigkeiten ausufern.

Sein Projekt heißt Forchheim

Die Persönlichkeit des 42-Jährigen ist schwer zu greifen, so schwer wie der Titel seiner Doktorarbeit („Assistenzsystem für die zervikale Spondylodese“). Der Ex-Siemensianer ist kein Rhetoriker, sondern Informatiker, Projektmanager. Sein Projekt heißt Forchheim. Und er kann beachtliche Erfolge vorweisen, für die er in seiner Rede passenderweise das Bild einer Checkliste nutzt: „Klinik-Fusion: Haken dran. Forschungseinrichtung mit dem Medical Valley: Haken dran. Förderkulisse für die Rathaussanierung: Haken dran.“

Weiter geht es mit Isek, Fachplan Wohnen, Kulturentwicklungsplan – alles Projekte im Sinne einer „perspektivischen und zukunftsorientierten Entwicklung“ , so Kirschstein. „Das ist eben kein klassischer Nine-to-Five-Job, sondern im besten Sinne Stadtplanung“. Sie beinhalte auch jene Themen, die es noch umzusetzen gelte: Die Neugestaltung des Paradeplatzes oder die Ansiedlung neuer Unternehmen nennt der OB als Beispiele.

Der „gesamtheitliche Blick“ auf Forchheim sei seit 2016 ein neuer: „Drei Themen möchte ich dabei herausgreifen, die uns in Zukunft beschäftigen werden: wohnen, wohnen, wohnen.“ Das sei zwar nur ein Thema, aber eben das zentralste. Was die Kultur angeht, ist seine Perspektive klar: „Wir brauchen eine Stadthalle, in der Kultur ernsthaft betrieben wird. Dazu wird ein umgebautes Kolpingshaus nicht reichen.“ An dieser Stelle gibt es lauten Applaus. Schließlich will er auch die Verkehrs- und Energiewende aktiv umsetzen. „Denn“, so Kirschstein, „ich bin fest davon überzeugt, dass das Auto als alleiniges Verkehrsmittel ausgedient hat“.

Bei alldem gelte es, Unwägbarkeiten nicht außer Acht zu lassen: „Wer kann schon die nächsten sechs Jahre überblicken?“ Gewerbesteuer-Einnahmen, die auf Rekordniveau sprudeln, seien nur Momentaufnahmen und stünden im Gegensatz zu „extremen, oft tagesaktuellen“ Schwankungen und Rückforderungen. „Die Maxime für mein Handeln ist und bleibt Gerechtigkeit, Solidarität, Freiheit – und dazu kommt noch Verlässlichkeit: Sagen, was man denkt, machen, was man sagt.“

Die Genossen küren ihn zum Spitzenkandidaten. Einstimmig.

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