G8 und G9: „Die quälende Diskussion muss enden“

7.2.2017, 13:00 Uhr
G8 und G9: „Die quälende Diskussion muss enden“

© F.: Hans Winckler

Als Sie sich 2007 in den Ruhestand zurückgezogen haben, haben Sie das „gymnasiale Schiff“ als „schwerfälligen Tanker“ beschrieben, von dem es beruhigend sei zu wissen, „dass er von 1000 Nieten zusammengehalten wird“. Sei er doch in voller Fahrt um ein Neuntel verkürzt worden. Wie schätzen Sie die Situation heute, im 14. Jahr des G8 ein?

Joachim Mensdorf: Das G8 war ein katastrophaler Schnellschuss, konzeptlos und handwerklich schlecht umgesetzt. Doch jeder hat versucht, das Beste draus zu machen. Anschließend wurde jahrelang an den Folgen herumlaboriert. Die ständigen Nachbesserungen der Lehrpläne haben zu einer Lähmung und auch zu einer Wut geführt, die bis heute anhält. Mittlerweile spricht selbst Horst Seehofer von einem „Quickie“, der nicht nur den Betroffenen, sondern auch seiner Partei geschadet hat.

Also genau der richtige Zeitpunkt, um das Ruder herumzureißen und zum G9 zurückzukehren, oder?

Mensdorf: Es ist bemerkenswert, dass alle davon ausgehen, dass das G9 wiederkommt. So sicher bin ich mir da nicht. Aber zumindest gibt es zwei tolle Signale. Zum einen die Umfrage der Landeselternvereinigung, an der fast 33 000 Menschen teilgenommen haben: Nahezu 80 Prozent stimmten fürs G9. Und zum anderen die Erklärung der Direktorenvereinigung, die sich erstmals klar fürs G9 ausspricht. Nur wurden diese Signale in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Ob sie in die Vorgaben des Kultusministeriums für die Landtagsentscheidung einfließen, bleibt abzuwarten.

 

Was soll dann der Dialogprozess, den das Kultusministerium im Sommer 2016 initiierte, um eine Lösung für die Gymnasien zu entwickeln?

Mensdorf: Der an 47 Gymnasien laufende Modellversuch mit der  Mittelstufe plus, die Schülern ein Jahr mehr zugesteht und die in den beteiligten Schulen zwei Drittel der Kinder wählten, hat zunächst in der Öffentlichkeit viel Anklang gefunden. Doch sie ist weder finanziell noch schulorganisatorisch realisierbar. Das trifft auch für das neue kultusministerielle „Zwittermodell“ zu, bei dem die Schulen selbst entscheiden, ob sie G8 oder G9 anbieten.  Als der Dialogprozess initiiert wurde, war das bereits absehbar. Trotzdem versucht man partout, eine Grundsatzentscheidung zu vermeiden und mit einem Nebeneinander „weiterzuwurschteln“, obwohl keiner weiß, wie es funktionieren soll.

 

Wann rechnen Sie mit einer Entscheidung?

Mensdorf: Ursprünglich sollte der Landtag 2016 entscheiden, jetzt heißt es Februar 2017, auch vom Sommer ist schon die Rede. Klarzustellen ist: Eine Rückkehr zum G9 wäre sicher nicht die zum alten G9. Egal, welche Variante kommt, sie braucht Vorlauf. Da läuft die Zeit davon, wenn es tatsächlich 2018/19 so weit sein soll. Die quälenden Diskussionen müssen ein Ende haben.

Wieso?

Mensdorf: Im Schulbetrieb sind alle irgendwie gelähmt, ziehen den Kopf ein und warten ab, was von oben kommt. Das ist nicht gut für die politische Kultur. Es ist an der Zeit, das Gymnasium wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen. Wenn der Dialogprozess nicht bald beendet wird, wird die Zeit wieder ganz knapp und es droht erneut eine übereilte Entscheidung. Gleichzeitig heißt es dann, unsere Vorlagen sind demokratisch legitimiert, wir haben doch mit allen Beteiligten gesprochen.

 

. . . nur offensichtlich nicht genau zugehört, oder?

Mensdorf: Richtig, sonst müsste man auch im Kultusministerium erkennen, dass genau jetzt, da sich die Eltern über die Befragung der Elternvereinigung so klar positioniert haben, der ideale Zeitpunkt wäre, um einzulenken und zum G9 zurückzukehren — mit individuellen Verkürzungsmöglichkeiten für leistungsstarke Schüler, wie es sie früher schon gegeben hat. Diese Einsicht würde von der Öffentlichkeit sicher auch honoriert werden.

Wie sehen Sie im Rückblick denn die Vorgänge 2004, als Sie wegen Ihrer öffentlichen Kritik am G8 ins Kultusministerium zitiert und von Monika Hohlmeier wie ein Schulbub vorgeführt wurden, wie Sie damals berichteten?

 

Mensdorf: Nach wie vor bin ich entsetzt, wie da mit uns umgegangen wurde. Das mehrstündige Gespräch bei Kaffee und Wasser war demütigend. Und als Direktor a. D. packt mich eine heilige Wut, dass es in Bayern möglich war, das Gymnasium auf derart unprofessionelle Weise an die Wand zu fahren.

 

Sprich: Ihre damalige Befürchtung, die gymnasiale Qualität werde mit dem G8 schwinden, hat sich bewahrheitet?

Mensdorf: Ich würde mal sagen, ich bin skeptisch, dass sie erhalten blieb. Auf jeden Fall führte das G8 zu einer Verschlankung. Der Tanker hat weniger Tiefgang.

 

Und nach dem Abitur, wenn die frisch gebackenen Absolventen ähnlich jung wie die Uni-Anwärter anderer EU-Länder ins Studium starten sollen, zieht es viele erst einmal für eine längere Zeit ins Ausland.

Mensdorf: Den Eindruck teile ich, dass etliche nach dem Abi sagen, nach diesem Burn-Out brauch‘ ich erst mal eine Auszeit. Das G8 ging auch auf Kosten einer sinnvollen Entwicklung. Den Schülern fehlt die Reifezeit. 16-Jährige werden oft mit Themen konfrontiert, für die sie zu jung sind. Oder denken Sie an Musik: Heute gibt es nur noch wenige Gymnasiasten, die bereit sind, sich in einem Chor oder einem Orchester zu engagieren. Doch eine ganzheitliche Bildung muss auch Raum ermöglichen für ein Engagement im sozialen, sportlichen und musischen Bereich sein.

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