Brückenfestival: Schlechte Laune hat hier nur ein Kabarettist

13.8.2012, 08:32 Uhr
Brückenfestival: Schlechte Laune hat hier nur ein Kabarettist

© Günter Distler

Die Spezies Mensch präsentiert sich hier in ihrer ganzen Vielfalt – vom gepflegten Herrn im Jackett über wilde Punkgören bis hin zu fröhlich herumpurzelnden Kindern. Auch die Bands können sich sehen lassen. Viele bringen wuchtige Kontrabässe und andere Gerätschaften auf die Bühne, die man beim Standard-Rock selten sieht.

Auf einer Nebenbühne wetteifern junge Dichter um den Sieg beim Poetry Slam, es gibt einen Schach-Stand und eine doppelte Premiere: Ein neues Zelt, in dem am Freitag der Kabarettist Matthias Egersdörfer wunderbar bösartig grantelt, am Samstag spielen Studenten der Musikhochschule Klassik. Auch wer die Sternschnuppen-Show verpasst: Bei diesem bunten Programm bleiben keine Wünsche offen.

Urlaub in Polen und nackte Franzosen

Sogar das Wetter spielt mit, was selten passiert: „Es ist das zweite komplett regenfreie Festival in zwölf Jahren“, freut sich die Mitveranstalterin Eva Bär. Der Besucherrekord des Vorjahres wird, wie so oft, wieder einmal überboten: Statt 15000 feiern nun mehr als 20000 Menschen unter der Theodor-Heuss-Brücke.

Weil mehr Besucher für das Gratisfestival auch mehr Aufwand bedeuten, ist der Sponsor Stabilo wieder mit an Bord. Moderator Peter Bäcker, der für den erkrankten Bird Berlin einspringt, verbindet die Firma kongenial mit dem Thema Musik: „Die besten Stifte, um Kassetten zurückzuspulen.“ Ansonsten scheiden sich die Geister an den Sprüchen des fülligen Irokesenträgers im silbernen Ganzkörper-Stretchanzug. Am Musikprogramm kann jedoch niemand mäkeln. Gut, die erste Band eines Festivals hat’s immer schwer, so geht es auch den Panda People. Ihr Discopop mit zickigem Falsett-Gesang zündet nicht so recht, doch daran ist die Sonne schuld: Solche Musik funktioniert besser unter einer Discokugel. Danach überzeugen die Streaming Satellites mit 70er-Rock der Marke Led Zeppelin – was bei ihnen erstaunlich frisch klingt.

Einen ersten Höhepunkt setzt das Duo Urlaub in Polen mit seinem zeitgemäßen Sound von Schlagzeug, Gitarre und ganz viel Elektronik. Und dann kommen die mit Spannung erwarteten Goldenen Zitronen aus Hamburg: Ehemalige Punks, die in Polohemden anreisen und auch im schwarzen Hemd auf der Bühne mehr Fragen aufwerfen als beantworten. Zwischen Krautrock und Avantgarde schwanken die Versuche, ihre Musik zu beschreiben. Die Zitronen haben längst ihr eigenes Genre geschaffen und verbinden eingängige Rhythmen mit sperrigen Texten: „Am ’Platz der leeren Versprechungen’ stellt sich heraus, dass sich nichts herausstellt.“ Das Publikum lässt sich auf dieses Hörspiel ein, am Schluss wird sogar ein bisschen Pogo getanzt. Der Punk ist halt nicht totzukriegen.

Brückenfestival: Schlechte Laune hat hier nur ein Kabarettist

Entspannt und doch eindrucksvoll ist der Indierock von A Tale of Golden Keys, der perfekte Einstieg für den Samstag. Mit langen Haaren, gemusterten Hemden und Westen lädt die Rockband Okta Logue zur zweiten Zeitreise in die 70er, auch dieser Trip macht Spaß. Danach wird gestaunt und getanzt: Nürnberger Musiker zeigen den Kollegen aus Texas, wie man es krachen lässt. Smokestack Lightnin’ spielen knackigen Countryrock mit Kontrabass und Stromgitarre.

So lustvoll fegen sie den Staub und die Klischees beiseite, dass man auch selbst die Ärmel hochkrempeln und zum Besen greifen möchte. Emmanuel and the Fear ist ein Musikkollektiv aus Brooklyn, das mit Geige, Cello und Rockinstrumenten alles anstellt, was die Bandbreite zwischen Ballade und Inferno hergibt. Danach gibt es eine Stunde lang nur HipHop – aber was für welchen! Texte für Herz und Hirn, dargeboten von einer Rapperin im Kleid. Fiva heißt die Dame, die das Publikum aufrüttelt, um den Finger wickelt, atemlos zwischen Gänsehaut und Partystimmung schwanken lässt.

Es folgt ein Rundumschlag mit satten Clubsounds von HipHop über Drum’n’Bass bis Techno – aber ganz ohne Computer. Und ohne Instrumente. Der 19-jährige Babeli ist offizieller Deutscher Meister im Beatboxing, und das heißt: Er erzeugt alle Klänge mit dem Mund. Den fröhlichen Schlussakkord setzen die schrägen Franzosen von Les Fils du Teuphu, die mit einer Fülle an Blasinstrumenten Ska, Latin und vieles mehr verwursten. Zwischendrin machen sie sich auch mal nackig, und für das druckvolle Finale holen sie Beatboxer Babeli hinzu.

Auf der Hauptbühne ist also wirklich was geboten. Umso erfreulicher, dass die kleineren Attraktionen nicht untergehen. Der Poetry Slam hat sein Stammpublikum, aber auch das neue Zelt mit Kabarett und dem ausgesprochen vielseitigen Klassikprogramm kommt gut an. Die Veranstalter haben eben ein gutes Händchen. Nur eines haben sie noch nicht in den Griff gekriegt: Dass diese zwei Tage immer so schnell vergehen.
 

Verwandte Themen


Keine Kommentare