Gewalt an Frauen: Schluss mit den Vorurteilen

8.3.2014, 06:00 Uhr
Wenn Frauen Opfer von Gewalt werden, sitzen die Vorurteile häufig tief.

© Jan-Philipp Strobel (dpa) Wenn Frauen Opfer von Gewalt werden, sitzen die Vorurteile häufig tief.

"Eine Frau, die von ihrem Partner geschlagen wird, kann sich doch einfach von ihm trennen."

In Beziehungen, in denen es zu Gewalt kommt, ist das Schlagen oft der Endpunkt einer langen Entwicklung von Demütigung, Entwertung und Abhängigkeit der Frau. Es beginnt mit verbalen Erniedrigungen: "Du sollst nicht arbeiten, aber dann rechnest du mir jeden Cent Haushaltsgeld vor. Mein Gott, siehst du schlimm aus, andere Frauen können sich doch auch schöner kleiden." Das läuft manchmal über lange Jahre. Irgendwann kommt es zu körperlichen Übergriffen, oft auch so massiv, dass sie im Krankenhaus behandelt werden müssen. Aber zu dem Zeitpunkt ist die Dynamik in der Beziehung schon völlig klar: Es gibt oben und unten. Die Frau ist voller Schuldgefühle: Ich bin nicht gut genug, ich kann mich nicht aus dieser Beziehung herauswagen, weil ich nichts zustande bringe. Hinzu kommt, dass Menschen lieber in einer schlechten bekannten Situation verharren, als sich in neue, unbekannte Gefilde zu wagen.

"Wenn eine Frau vergewaltigt wird, hat sie nicht gut genug aufgepasst.“

Vor allem Frauen haben solche Abwehrmechanismen: "Ach, in diese Kneipe bist du gegangen! Die hat ja einen ganz schlechten Ruf. Also, ich verhalte mich so, dass mir das nicht passieren kann.“ In Wirklichkeit sind 50 Prozent der Täter Partner oder Ex-Partner, aber da möchte man natürlich nicht so genau hinschauen. Den Makel hat immer das Opfer, nicht etwa der Täter.

Sabine Böhm ist Geschäftsführerin des Nürnberger Frauennotrufs.

Sabine Böhm ist Geschäftsführerin des Nürnberger Frauennotrufs.

"Wenn eine Frau einen kurzen Rock trägt, muss sie sich nicht wundern, wenn sie vergewaltigt wird."

Diese Mythen sind immer noch unglaublich präsent, das hat sich bei einer Straßenumfrage gezeigt, die wir vor einigen Jahren gemacht haben. Die Ergebnisse waren erschreckend. Selbst sehr junge Frauen, die einen Minirock trugen, haben diese Auffassung vertreten. Verbreitet ist auch die Ansicht, dass es Frauen, die sowieso mit vielen Männern schlafen, doch egal sein kann, wenn sie vergewaltigt werden. Da frage ich mich, was für ein Bild jemand von Menschenwürde und von Sexualität hat. Derjenige verkennt auch, dass es sich bei sexualisierter Gewalt um Gewalt mit dem Mittel der Sexualität handelt – nicht umgekehrt. Es geht bei Vergewaltigung nicht um Sex. Das ist etwas, das schwer in die Köpfe hineingeht.

"Wenn eine Frau sich nicht wehrt, woher soll ich wissen, dass sie keinen Sex möchte? Am Ende stehe ich als Vergewaltiger da."

Einen Mann, der das behauptet, kann man erst mal beruhigen: Er hat vor Gericht super Karten. Heftige Gegenwehr ist immer die Voraussetzung, dass jemand verurteilt wird. Aber: Jeder Mensch merkt, wenn er etwas gegen den Willen eines anderen Menschen tut. Wenn wir Fortbildungen zum Thema „Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz“ durchführen, spielen wir am Anfang mehrere Szenen vor und fragen die Teilnehmer, was sexuelle Belästigung ist und was nicht. Alle wissen, wo die Grenze ist. Wer massiv über die Grenzen eines anderen Menschen hinausgeht, dem ist es egal. Männer sind ja nicht bescheuert, sie merken einen Unwillen, ein Zögern. Und es gab bis vor einigen Jahren sogar noch Gerichtsurteile, in denen ein Mann freigesprochen wurde, obwohl die Frau Nein gesagt hatte. Weil ein Nein nach dieser falschen Logik ja auch heißen kann: Ich will verführt werden.

"Viele Frauen beschuldigen Männer fälschlicherweise einer Vergewaltigung."

Da kann ich mit einer Studie der bayerischen Polizei antworten. Die haben vor einigen Jahren untersucht, wie viele Falschanzeigen im Bereich sexuelle Gewalt es gibt. Es sind sieben Prozent, das sind genauso viele wie bei Handtaschenraub. Wenn man Polizeibeamte fragt, schätzen sie die Quote auf 20 bis 50 Prozent. Die Studie hat auch den Grund für diese Diskrepanz untersucht: Polizisten speichern von der Staatsanwaltschaft niedergelegte Verfahren als Falschaussage ab.

Das ist bei Vergewaltigungen häufig der Fall und hat nichts damit zu tun, ob sie tatsächlich stattgefunden hat, sondern nur damit, ob man sie vor Gericht beweisen kann. Wenn die Beweise nicht ausreichen, legt die Staatsanwaltschaft das Verfahren nieder, egal ob sie der Frau glaubt oder nicht. Viel wahrscheinlicher als eine Falschaussage ist es, dass Opfer im Schweigen erstarren und den Täter nicht anzeigen.

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