Hohe Belastung: Nürnbergs Notaufnahmen im Dauerstress

7.9.2016, 05:58 Uhr
Hohe Belastung: Nürnbergs Notaufnahmen im Dauerstress

© Archivfoto: Rudi Ott

"Es gibt nichts, was nicht in die Notaufnahme kommt“, sagt Klinikumssprecher Bernd Siegler. Fünf Stufen sieht das Klinkum für Patienten dort vor. Während Patienten der Stufe 1 schwerverletzt sind, haben solche der Stufen 4 und 5 gesundheitliche Probleme, mit denen sie auch bei ihrem Hausarzt gut aufgehoben wären. Allein in diesem Jahr geht man am Klinikum Nürnberg davon aus, dass mehr als ein Drittel der Patienten in der Notaufnahme zu diesen beiden Stufen gehören.

Dabei haben die Mediziner und Pfleger in der Notaufnahme sowieso schon alle Hände voll zu tun. So sind die Leistungszahlen allein am Südklinikum von 46.667 im Jahr 2005 auf 68.774 im vergangenen Jahr gestiegen. Am Nordklinikum stiegen sie im selben Zeitraum von 33.500 auf 47.420. „Pro Jahr gibt es eine Steigerung von fünf bis zehn Prozent“, so Siegler. Die Zahlen des Klinikums liegen damit absolut im Bundesdurchschnitt. Und trotzdem: "Bei uns wird niemand abgewiesen“, so Siegler.

Wie aber kommt es, dass immer mehr Patienten mit Bagatellerkrankungen in die Notaufnahme kommen? Siegler geht davon aus, dass viele Menschen mittlerweile einfach eine andere Anspruchshaltung haben als früher. "Sie wollen rund um die Uhr versorgt werden“. Ein weiterer Grund: die langen Wartezeiten auf Facharzttermine. Die Diagnostik und Behandlung, die Patienten dort bekommen können, gibt es in der Notaufnahme schließlich wesentlich schneller und im gleichen Umfang. So gebe es etwa auch Patienten, die vier Wochen lang mit Rückenschmerzen herumlaufen und dann plötzlich – ohne, dass der Schmerz schlimmer geworden wäre – am Sonntagnachmittag in der Notaufnahme vorstellig werden.

Eine Milliarde Euro Verlust

All das gibt es natürlich nicht kostenlos. "Notaufnahmen verursachen eine Milliarde Euro Verlust für Krankenhäuser“ titelte erst neulich das Ärzteblatt. Errechnet hat die Zahl der Leipziger Krankenhausökonom Wilfried von Eif. Die durchschnittlichen Kosten, die ein ambulanter Notfallpatient bei der Behandlung in einer Krankenhaus-Notaufnahme verursacht, lägen bei 126 Euro, so der Krankenhausökonom. Demgegenüber stünden im Schnitt Erlöse pro Fall in Höhe von nur 32 Euro.

Um den Ansturm der Patienten auf die Notaufnahmen der Kliniken zu stoppen, schlägt die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) eine Gebühr vor. "In die Notaufnahmen drängen zu viele Menschen aus reiner Bequemlichkeit“, sagte Vizechef Johannes Fechner. Sie gehörten dort nicht hin, wenn sie nur leichte Beschwerden hätten. "Die Menschen glauben aber, dass sie dort schnell alles bekommen.“

Der Verband der Ersatzkassen (vdek) will das Problem durch den Aufbau von Portalpraxen lösen, die rund um die Uhr an der stationären Notfallversorgung teilnehmen. Eine solche Portalpraxis sollte in der Regel aus einer festen Anlaufstelle für die Notfallpatienten sowie aus einer ambulanten Notdienstpraxis bestehen, die ebenfalls am Krankenhaus angesiedelt sein sollte. Nach den Vorstellungen der Ersatzkassen soll in der Anlaufstelle eine rasche Erstbegutachtung der Patienten vorgenommen und der Behandlungsbedarf eingeschätzt werden.

Die Anlaufstelle solle die Patienten dann entweder in die niedergelassene Arztpraxis außerhalb des Krankenhauses (innerhalb der Sprechstundenzeiten) oder in die ambulante Notdienstpraxis im Krankenhaus (außerhalb der Sprechstundenzeiten) beziehungsweise in die Notaufnahme des Krankenhauses weiterleiten. Zugleich fordern die Ersatzkassen eine bessere Qualifikation der Personen, die in der Notfallversorgung tätig sind. Dies gelte insbesondere für das nichtärztliche Personal, das die Schwere der Erkrankungen bewertet und die Weiterleitung in Arztpraxis, Notdienstpraxis oder Notaufnahme vornimmt.

Hausbesucher werden immer seltener

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz warnte davor, allein den Patienten die Schuld für die verstopften Notaufnahmen zu geben. "Vielmehr werden seit Jahren die Kassenärzte ihrem Sicherstellungsauftrag nicht mehr gerecht“, erklärte Vorstand Eugen Brysch. "So gehören Hausärzte, die ihre Patienten tatsächlich daheim aufsuchen, zur aussterbenden Spezies.“

Am Klinikum Nürnberg ist man zunächst aber auf eine pragmatische Lösung angewiesen. Wenn nämlich immer mehr Menschen in die Notaufnahme kommen, hat dies schließlich auch Auswirkungen auf die Wartezeiten. "Warten ist etwas, das viele nicht mehr können“, so Siegler, „manche glauben, sie müssen sofort alles bekommen“.

Die Grundstimmung in den beiden Stationen ist deshalb manchmal etwas aggressiver – teilweise auch, weil Angehörige von Patienten die Stimmung anheizen. "Man muss aber auch verstehen, dass es ihnen dabei um ihr subjektives Empfinden geht“, so Siegler. Sie können also gar nicht einsehen, dass es anderen Patienten schlechter geht und sie deshalb länger warten müssen. Damit nichts passiert, hat das Klinikum reagiert: seit rund eineinhalb Jahren ist in den Notaufnahmen auch ein Sicherheitsdienst beschäftigt.

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