Jetzt gehen Schulen in den Gammelmodus

8.7.2015, 18:56 Uhr
Jetzt gehen Schulen in den Gammelmodus

© Foto: S. Weber

Herr Lanig, die große Erschlaffung hat Tradition. Gönnen Sie’s den Kindern nicht?

Jonas Lanig: Auch die Schüler haben das Notendenken leider verinnerlicht. Fallen die Zensuren weg, schleicht sich ein Gammel-Modus ein, gegen den man fast machtlos ist. Schulen sind hilflos in dieser Situation, außer Unterricht können sie nämlich nichts. Nehmen sie der Schule Noten, Lehrplan und Bücher weg, dann kracht das ganze Gebäude in sich zusammen. Dabei sind Schüler immer zu packen, wenn sie etwas fürs eigene Leben brauchen können.

Da fällt mir Naina ein. Die 18-Jährige hat getwittert, dass sie keine Ahnung von Steuern, Miete und Versicherungen habe – aber ein Gedicht in vier Sprachen analysieren könne.

Lanig: Richtig, Praktisches, Alltägliches braucht auch einen Platz. Besser wär’s, den nicht immer ans Ende des Schuljahres zu verlegen. Trotzdem kann man in den „Flipflop-Wochen“, wie ich sie nenne, endlich Themen ansprechen, die nicht ins Fachraster passen, aber viel mit dem Alltag der Schülerinnen und Schüler zu tun haben. Digitale Welten zum Beispiel, Drogen und Sucht oder Gesundheit.

Sie als Deutschlehrer haben alles anders gemacht?

Lanig: Ich fand diese Bummelwochen im Prinzip immer großartig, weil ich ein Konzept hatte. Außerdem musste ich endlich nicht mehr kleinlaut bei Kollegen um Unterrichtsstunden betteln, die ich für ein Thema brauchte. Da gab es dann eine Woche mit Exkursionen in die „Stadt als Schule“. Oder wir haben in einem Atombunker übernachtet, sind zum Clubtraining und zur Bundeswehr, wenn es in einer Mädchenklasse um „Männerorte“ ging.

Hilft nur, das Schulhaus zu verlassen?

Lanig: Natürlich nicht drei Wochen lang. Man könnte auch einmal gründlich Bilanz ziehen. Ein ehrliches Feedback, nicht nur irgendwo sein Kreuzchen machen. Ich habe die Schüler am Schuljahresanfang immer einen „Brief an mich selbst“ schreiben lassen — mit all ihren Vorsätzen. Der wurde dann am Ende geöffnet und noch mal selbstkritisch gelesen.

Die Schüler sind abgeschlafft. Aber die Lehrer haben Notenstress, oder?

Lanig: Grundschullehrerinnen ja, die schreiben sich wirklich halbtot an ihren Beurteilungen. Für die anderen Schularten gibt es Musterformulierungen, die man kopieren kann. Dazu zwei Notenkonferenzen, das ist es dann aber auch gewesen. Trotzdem ist es ein hartes Geschäft, die Schüler bei Laune zu halten, besonders wenn es heiß ist. Das geht an die Substanz.

Warum gibt es so gar keinen Plan für die große Freiheit im Juli?

Lanig: Ich habe es in 36 Jahren als Lehrer nicht ein einziges Mal erlebt, dass diskutiert wurde, was in den letzten Wochen passieren könnte. Es wird nur reagiert. Der Mathelehrer bietet Denksportaufgaben an, das war’s. Dabei könnte hier die Kür kommen nach so viel Pflichtprogramm.

Schulpolitik ist auch im Ruhestand Ihr Thema. Haben Sie noch Hoffnung, dass aus Gammel- irgendwann Kreativ-Wochen werden?

Lanig(lacht): Ich lebe davon, den Leuten Mut zu machen, Schule zu verändern. Das Beste wäre es, die Noten endlich abzuschaffen, dann hätte auch der Notenschluss keine Bedeutung mehr. Und es tut sich einiges. Neben Bayern zwingen nur noch sieben von 16 Bundesländer ihre Grundschulen zur Notengebung. Das ist doch ein Anfang.

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