Nürnberger Surfer jagt die Monsterwelle

17.2.2014, 21:51 Uhr
Nürnberger Surfer jagt die Monsterwelle

© privat

Herr Steudtner, sie ist bis zu 70 Stundenkilometer schnell und 500.000 Tonnen schwer. Wie fühlt es sich an, wenn eine 20-Meter-Welle einen verschlingt?


Sebastian Steudtner: Wenn eine solche Welle einen vom Brett holt, fühlt man sich wie ein kleiner Mann, den man in die Waschmaschine gesteckt hat — im Schleudergang. Man weiß nicht, wo oben und unten ist, verliert für einige Sekunden komplett die Orientierung. Damit es mich nicht zerreißt, presse ich Arme und Beine eng an den Körper und versuche, so schnell wie möglich an die Wasseroberfläche zu kommen. Man weiß nicht, wie weit man in die Tiefe geschleudert worden ist, ob der Sauerstoff reicht, bis man wieder oben ist, und wann die nächste Welle folgt.

Was verspüren Sie in solchen Momenten?

Steudtner: Nichts, man ist in voller Bewegung und reagiert einfach nur. Dafür trainiere ich bis zu sechs Stunden täglich. Gefühle wie Angst, Panik oder Erschrecken gibt es in solch einem Moment nicht. Das ist reine Kopfsache. Ich weiß, die Welle landet auf mir, also muss ich versuchen, schnellstmöglich da rauszukommen. Es bleibt einem auch gar keine Zeit für Panik oder großes Nachdenken.
 

 

Wie oft ist Ihnen das passiert?

Steudtner: Erst einmal ist eine über 15 Meter hohe Welle auf mir gelandet. Das war vor Hawaii. Damals war die Schulter kaputt und eine Rippe gebrochen, aber wirklich ernsthaft verletzt habe ich mich noch nie.
 

Wann hatten Sie in Ihrem Leben richtig Angst?

Steudtner: Es gab im Meer noch nie eine Situation, in der ich Angst oder Panik verspürt habe. Wasser ist mein Element, dort fühle ich mich sicher und wohl. Ganz anders in den Bergen. Ich war mal mit Kumpels in der Fränkischen mit einem Seil klettern, da ist mir schnell mulmig geworden. Ein klassischer Fall von Höhenangst. Panische Angst habe ich übrigens auch vor Spinnen und Schlangen.

Und wie schaut es mit Haien aus? Sie sind beim Surfen und Tauchen vor Hawaii bereits mehreren begegnet.

Steudtner: Klar, das ist, als ob man in den Wald geht und ein Eichhörnchen sieht. Haie haben bei uns ein schlechtes Image — zu Unrecht! Es sind keine Killerbestien, wie viele uns glauben machen wollen. Was gerade in Australien abläuft, dass Haie von über drei Meter Länge zum Abschuss freigegeben sind, ist einfach asozial. Menschen fallen eigentlich nicht in ihr Beuteschema. Dass ein Hai durchdreht, ist die Ausnahme. Sie beißen einmal zu und lassen wieder los. Das Problem ist menschengemacht: Wir haben den natürlichen Lebensraum dieser Tiere verändert, die Fischbestände schwinden. Mich haben Haie noch nie angegriffen, sie haben mir lediglich beim Harpunenfischen meine Beute gestohlen.

Wie viel Mut braucht man fürs Big-Wave-Surfen?

Steudtner: Erst einmal geht es um Leidenschaft, dass man sich dafür entscheidet, das Ganze durchzuziehen. Dazu kommen Mut, Wille und Disziplin. Alle vier Punkte sind wichtig.

Wann haben Sie Ihre Surfleidenschaft entdeckt?

Steudtner: Im Alter von neun Jahren im Familienurlaub in der Bretagne. Damals sah ich zum ersten Mal das Meer. Meine Mutter hatte mir ein Schaumstoffsurfbrett geschenkt — die Faszination war sofort da und hat mich bis heute nicht mehr losgelassen. Ich begann mit Windsurfen, verschlang sämtliche Surfmagazine und erklärte „Gegen den Wind“ zu meiner Lieblings-TV-Serie. Mit 13 habe ich meinen Eltern gesagt, dass ich nach Hawaii zur Surferschule gehen werde. Mit 16 habe ich meine Pläne dann verwirklicht. In nur einem Jahr erreichte ich dort ein professionelles Level, mit 18 entdeckte ich dann das Big-Wave-Surfen.

Ende 2009 surften Sie die größte Welle des Jahres und erhielten dafür als erster Europäer den Billabong XXL Global Big Wave Award, den „Oscar des Surfens“. Dafür haben Sie einiges auf sich genommen: Sie haben die Schule abgebrochen, gingen nach Hawaii und arbeiteten dort jahrelang als Pool-Bauarbeiter.

Steudtner: Ich lebe in meiner eigenen Welt und habe keine Angst davor, kein Geld zu verdienen, auch möchte ich nie in einem Angestelltenverhältnis landen. Ich scheue die vorgefertigten Wege und schaue lieber, was gut für mich ist und meinen Talenten entspricht. Seit zwei Jahren lebe ich in Portugal in Nazaré und Irland und jage der großen Welle hinterher. Europa ist als Big-Wave-Kontinent noch sehr unerforscht, hat aber ein riesiges Potenzial. Ich will 2014 hier einen neuen Weltrekord aufstellen

Bleibt da Zeit fürs Privatleben?

Steudtner: Früher war mir das relativ egal, ich war schon immer ein Workaholic. Inzwischen hat sich das geändert. Meine Familie und meine Freunde sind mir sehr wichtig. Und natürlich auch meine Freundin, die ich vor drei Jahren in Nürnberg kennengelernt habe. Sie macht derzeit ihren Doktor in Florenz und wir sehen uns einmal im Monat. Aber es ist nicht einfach, das alles unter einen Hut zu kriegen.

Sie halten Vorträge auf Wirtschaftskongressen. Was können Führungskräfte von Surfern lernen?

Steudtner: Ich spreche darüber, dass man ein kalkulierbares Risiko eingeht und Mut hat, Entscheidungen zu treffen. Es gilt, oben vorzuleben, wie es unten laufen soll — dann funktioniert es.

Es geht um Führungsqualitäten und Teamfähigkeit. Darum, dass man wirklich 100-prozentig hinter seinen Mitarbeitern steht. In meinem Job vertraue ich meinem Team mein Leben an.

Derzeit verbringen Sie drei Wochen im Jahr in Nürnberg. Können Sie sich vorstellen, irgendwann ganz hierher zurückzukehren?

Steudtner: Es kommt darauf an, was ich nach dem Surfen machen werde. Ich plane nicht, aber die nächsten zwölf Jahre will ich diesen Sport noch machen. Und danach? Wer weiß. Ich bin hier aufgewachsen, Nürnberg ist und bleibt meine Heimat.
 

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