"Scheißschleier runter!": Mit dem Niqab durch Nürnberg

7.11.2015, 18:45 Uhr
Mit einem traditionellen Niqab zog unsere Autorin Julia Vogl durch Nürnberg.

© Roland Fengler Mit einem traditionellen Niqab zog unsere Autorin Julia Vogl durch Nürnberg.

"Du gehst aber hoffentlich nicht allein los" - das ist der Satz, den ich vorab wohl am häufigsten höre. Und gleichzeitig ein Satz, der zeigt, wie das gegenwärtige Klima in Deutschland von vielen meiner Mitmenschen wahrgenommen wird. Und nein, ich gehe nicht allein los. Zwei Kollegen spielen ein Touristenpaar, das mir unauffällig folgt. Schon der Weg vom Verlagshaus zum Hauptbahnhof fühlt sich unangenehm an.

Unverständnis, Neugier, Verwunderung – das lässt sich wohl am ehesten in die Blicke der Menschen hineininterpretieren, die beim Anblick einer voll verschleierten Frau entweder sofort den Blick abwenden oder penetrant starren. Lang dauert es nicht, bis ein Mann es nicht mehr nur beim Starren belässt. "Hey", ruft er im Hauptbahnhof, folgt bis an die nächste Ecke und schaut dem Schleier nach.

"In Bayern herrscht Vermummungsverbot"

In der Unterführung zur Königstraße - gerade einmal zehn Minuten sind da vergangen, seit aus der Frau im Minikleid eine im Niqab geworden ist - werde ich dann auf mein "Fehlverhalten" hingewiesen. "In Bayern herrscht Vermummungsverbot", herrscht mich eine Dame um die fünfzig an, „nehmen Sie Ihren Scheißschleier runter!“ Sie huscht vorbei und verschwindet in einer Bäckereifiliale.

Gern hätte ich sie vorher kurz darüber aufgeklärt, dass dem im Freistaat nicht so ist. In Deutschland wäre ein generelles Verschleierungsverbot verfassungswidrig – so befindet zumindest der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags in einem Gutachten, das vor drei Jahren veröffentlicht wurde. In Bayern hat das Verwaltungsgericht München im vergangenen Jahr lediglich das Tragen eines Gesichtsschleiers in der Schule verboten. Vollschleier und Bahnhof – illegal ist das also nicht.

Ich frage nach dem Weg - und werde einfach ignoriert

Raus aus dem Bahnhof – das Starren geht weiter. Einige bleiben stehen und drehen sich nach mir um. Sie sehen mich nicht und schauen mich trotzdem an. Anders als sonst rempelt mich auf dem Weg in Richtung Hauptmarkt niemand versehentlich an. Ich bin ein Fremdkörper. Ich passe nicht in die Masse. Bis auf eine Ausnahme: eine Straßenkreuzer-Verkäuferin. Sie hält mir das Sozialmagazin genauso entgegen, wie sie es auch bei Frauen ohne Schleier macht. Was auffällt: Jüngere Nürnberger sehen den Vollschleier gelassener. Kopfschütteln ernte ich meist von älteren Damen.

© privat

Am Gemüsestand am Hauptmarkt weiß man offenbar erst nicht so recht, wie man mit mir umgehen soll. Der Verkäufer ignoriert mich, seine Kollegin bedient mich aber freundlich. Ein paar Stände weiter bekomme ich die Bananen auch mit einem Lächeln in die Tüte gepackt. Als ich gehe, wünscht man noch einen schönen Tag.

"Schöner Schleier, schöne Dame"

Einkaufen mit Niqab. Das ist auch bei "Stefanel" kein Problem. Die Verkäuferin in der Boutique ist freundlich wie immer und bietet Hilfe an. Sie scheint zu wissen, dass Frauen unter dem Vollschleier richtig schick angezogen sein können.

Schwieriger wird es da schon, wenn man die starrende Masse direkt anspricht. Nach dem Weg will ich fragen – und werde ignoriert. Einmal, zweimal. Erschrockene Blicke statt einer Erklärung, wie man denn jetzt am besten zum Bahnhof kommt. Mit der Schleierfrau will man offenbar nicht sprechen. Diejenigen, die sich doch erbarmen, zeigen mir höflich den Weg. Und wieder ist es eine Straßenkreuzer-Verkäuferin, die keine Berührungsängste mit dem Vollschleier hat. Auf der aktuellen Ausgabe sind zwei Frauen mit Kopftuch zu sehen.

Eine ist Muslima, die andere eine katholische Nonne. Beide lachen. „Habt keine Angst“, lautet der Titel. Die Verkäuferin hält mir das Heft entgegen, sie lächelt mich an. „Schöner Schleier, schöne Dame“, kommentiert sie das Titelbild. Es ist das erste Mal, dass ich mich in der Verkleidung nicht unwohl fühle. Wenn auch nur für einen kurzen Moment.

Wenig problematisch ist es auch im Literaturhauscafé. Natürlich fällt der Schleier auf. Selbstverständlich schauen mich die anderen Gäste an – wenden sich dann aber wieder ihren Gesprächspartnern zu. Nicht mal die Tatsache, dass ich den Latte macchiato umständlich unter den Schleier bugsieren muss, um aus dem Strohhalm trinken zu können, regt irgendjemanden auf. Angestarrt werde ich dabei zumindest nicht. Weder von anderen Gästen noch von den Kellnern. Und doch bin ich heilfroh, das Spießrutenlaufen nach eineinhalb Stunden endlich beenden zu können.

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