SKI-Chef zu Misshandlungsvorwürfen: "Es sind alle überfordert"

6.10.2014, 11:00 Uhr
Das undatierte Handout der Polizei zeigt zwei Sicherheitsleute, die in der ehemaligen Siegerland-Kaserne in Burbach einen am Boden liegenden Flüchtling misshandeln.

© Polizei NRW/dpa Das undatierte Handout der Polizei zeigt zwei Sicherheitsleute, die in der ehemaligen Siegerland-Kaserne in Burbach einen am Boden liegenden Flüchtling misshandeln.

NZ: Wie erleben Sie, beziehungsweise Ihre Mitarbeiter, die Situation mit den überfüllten Flüchtlingsheimen?

Walter Stilper: Wir betreuen beispielsweise seit Jahren ein Asylheim in Sachsen. Ich kenne das Heim, es waren etwa 60 Menschen dort, hauptsächlich Familien. Da wurden meine Mitarbeiter zum Tee eingeladen, sie spielten mit den Kindern Fußball. Anfang des Jahres rief mich ein Mitarbeiter an: Es ginge nicht mehr, es sei verantwortungslos, was hier passiere. Aus 60 Menschen wurden 160, die Neuankömmlinge waren fast alles alleinreisende Männer. Es gab dauernd Ärger.

NZ: Inwiefern?

Stilper: Ein Beispiel: Anwohner hatten sich über die zu laute Dunstabzugshaube beschwert, so durfte nur bis 22 Uhr gekocht werden. Aber: Es war Ramadan – die Menschen durften erst nach Sonnenuntergang essen! Da kommt es zu Ausschreitungen.

NZ: Werden Ihre Mitarbeiter angegriffen?

Stilper: Ein aktueller Fall, vorletzte Woche passiert. In Burbach . . .

NZ: Das Asylheim ist für 400 Menschen eingerichtet, es leben aktuell dort 700 . . .

Stilper: Ja, es ist völlig überfüllt. Bei der Essensausgabe bekamen sich zwei Männer verschiedener Ethnien in die Haare. Innerhalb weniger Sekunden ist der Streit eskaliert, rund 40 Männer prügelten teilweise mit Stühlen aufeinander ein. Wir hatten gerade Schichtwechsel, so waren wir in diesem Moment zu zwölft. Wir haben sofort die Polizei angerufen, denn vor der Kantine versammelten sich noch rund 100 weitere Männer, bereit, die Kantine zu stürmen. Wir haben mehrmals bei der Polizei angerufen, doch die kam erst, als alles vorbei war. Die Bilanz: Vier meiner Mitarbeiter mussten ins Krankenhaus: angebrochener Halswirbel die eine, angebrochener Arm der andere, eine Frau hat einen Jochbeinbruch erlitten. Drei hätten in der Nachtschicht arbeiten sollen. Wir werden alleine gelassen.

NZ: Wie wählen Sie Mitarbeiter aus?

Stilper: So sorgfältig, wie ich nur kann. Wenn jetzt der Innenminister von Nordrhein-Westfalen eine Verschärfung der Auswahlkriterien fordert: Ich erfülle seinen Plan längst, und ich zahle schon immer über dem Tarif. Die Bewerber müssen einen Kurs bei der IHK machen. Mit diesen Unterlagen melde ich jeden Mitarbeiter beim Ordnungsamt – und das überprüft die Wachpersonen anhand des Bundeszentralregisters. Nur wer dort keine Einträge hat, kommt weiter. Doch das genügt mir nicht: Da die Mitarbeiter in anderen Bundesländern arbeiten, gehe ich von mir aus zu den dortigen Ordnungsämtern und zur Polizei, lege diese Unterlagen auch dort auf den Tisch und möchte, dass die Angestellten überprüft werden. Dazu sind wir gar nicht verpflichtet. Aber ich gehe sogar noch weiter: Ich verlange von jedem ein Führungszeugnis für meine Unterlagen.

NZ: Es heißt, einer der Verdächtigen sei vorbestraft.

Stilper: Er ist „polizeibekannt“. Und als ich das erfuhr – das konnte ich nur deshalb erfahren, weil ich so eng mit der Polizei kooperiere – habe ich ihn sofort entlassen. Das Foto und das Video mit den Misshandlungen tauchten erst später auf. Wenn ich einen Mitarbeiter im Januar einstelle und er im Februar eine Körperverletzung begeht, erfahre ich das erst zwölf Monate später, denn die Ordnungsämter kontrollieren nur einmal jährlich. Im Fall der Verdächtigen war es so, dass sie ein erweitertes Führungszeugnis ohne Eintragungen hatten.

Walter Stilper hat seinen Anwalt Wolfgang Wittmann mitgebracht.

Wolfgang Wittmann: Diese Art der „Qualitätssicherung“ der SKI mutet natürlich gleichwohl abenteuerlich an. So vorzugehen liegt eigentlich im Verantwortungs- und Aufgabenbereich der Ordnungsbehörden. Die mit der Zuverlässigkeitsprüfung befasste Behörde hat natürlich die Möglichkeit, sich bei der Landesbehörde für Verfassungsschutz über den SecurityMitarbeiter zu erkundigen. So könnte man in einigen Fällen sicherlich den Einsatz von „Problempersonal“ verhindern. Auch wenn es keinen Eintrag im Bundeszentralregister gibt, kann die Person polizeibekannt sein – das erfährt Herr Stilper selten.

NZ: Das heißt aber auch, dass dieses Auskundschaften abseits jeglicher datenschutzrechtlicher Bestimmungen läuft.

Wittmann: Ja – um vorzubeugen, dass „Problempersonen“ in sensiblen Bereichen, besonders in Flüchtlingsheimen, eingesetzt werden. Arbeitsrechtlich eingestuft kundschaftet hier der Arbeitgeber den Arbeitnehmer bei der Polizei aus, um die innere Sicherheit und Ordnung und sich selbst zu schützen, weil Behörden diese zusätzliche Möglichkeit der Bewachungsverordnung für Wachpersonal in Asylheimen bislang nicht ausschöpfen.

NZ: Und trotzdem ist es passiert. Vier Mitarbeiter haben Flüchtlinge aufs Übelste gegängelt, vermutlich einen verprügelt und misshandelt.

Stilper: Das macht mich fassungslos. So etwas ist noch nie vorgekommen. Seit Jahren arbeite ich in diesem Bereich. Es gibt niemanden, der mehr Erfahrungen hat hinsichtlich der Betreuung von Flüchtlingsheimen oder Erstaufnahmeeinrichtungen. Wir hatten noch nie Beanstandungen.

Der SKI wurde gekündigt, viele Mitarbeiter entlassen. Der Hersbrucker Zeitung liegt eine Mail vor, die Stilpers Aussage stützt. Sie wurde geschrieben von einem Mitarbeiter der Bezirksregierung Arnsberg, gerichtet an den Vize-Regierungspräsidenten Volker Milk. Hier Auszüge:

„Jahrelang haben die MA (SKI-Mitarbeiter, die Red.) die Einrichtungen Westfalendamm/Dortmund-Hacheney bewacht und betreut, ohne jemals ein Wort des Dankes zu hören. Durch unser teilweise nicht gerade pflegeleichtes und umgängliches Publikum wurden die MA in der EAE (Erstaufnahmeeinrichtung, die Red.) Dortmund beschimpft, bedroht, beleidigt, gekratzt, gebissen, mit Gegenständen wie Flaschen, Messern und Pfefferspray angegriffen, zuweilen sogar verletzt. Trotzdem hat sie die Probleme immer ruhig, besonnen und sehr souverän, in Zusammenarbeit mit der örtlichen Polizei, gelöst. Die vor Ort tätigen Mitarbeiter des SKI, zu 90 Prozent mit Migrationshintergrund, und daher auch als Dolmetscher sehr nützlich, leisten wertvolle Arbeit (. . .) Insbesondere den vielen weiblichen Mitarbeiterinnen in der EAE vermitteln sie das Gefühl von Sicherheit. (. . .) Nun sollen ausgerechnet Menschen, (. . .) die ihre Aufgabe bisher mit Herzblut und uneingeschränktem Einsatz bewältigt haben, (. . .) zu „Schlägern“ degradiert und entlassen werden?“

NZ: Wer bewacht die Einrichtungen jetzt?

Stilper: Eine Firma, die mit Schlagstöcken anrückt. Die sind bei mir verboten.

NZ: Waren Ihre Mitarbeiter überfordert?

Stilper: Von Januar bis Ende Juli 2014 wurden für teilweise über 800 Flüchtlinge nur vier Mitarbeiter von uns angefordert, obwohl wir immer wieder und nachdrücklich auf die erhebliche Unterbesetzung hingewiesen haben. Erst ab dem 1. August wurden dort sechs Sicherheitsmitarbeiter eingesetzt. Die Wachmänner haben ohne Verstärkung auch in Phasen extremer Auslastung zeitweise drei Quarantänestationen gleichzeitig neben den sonstigen Aufgaben wie Empfang/Pforte, Küche/Essensausgabe, Kleiderausgabe, Taschengeldausgabe/Verwaltung und anderem absichern müssen.

NZ: Wussten Sie von dem „Problemzimmer“, in dem der eine Flüchtling von SKIlern gezwungen werden sollte, sich in sein Erbrochenes zu legen?

Stilper: Ja, ich wusste davon – und habe es verboten. Als ich durch meine Mitarbeiter davon hörte, habe ich sofort die Firma European Homecare informiert, die uns als Security einsetzt. Sie kündigten danach einen Ortstermin an. Ein Problemzimmer gab es aber plötzlich nicht mehr: Es wurde zum Zeitpunkt der Kontrolle zum „Bügelzimmer“ umdeklariert.

NZ: Wer hat denn das Problemzimmer eingerichtet?

Stilper: Die Sozialarbeiter mit Wissen und Billigung der Heimleitung. Wir hätten dort 14-Jährige einsperren sollen oder auch Frauen – das ist doch vollkommen krank. Und manche Anweisungen sind einfach lebensfremd: Wir hatten eine Arbeitsanweisung seitens der Sozialbetreuer, dass wir mit den Flüchtlingen nicht reden oder diskutieren sollen – wir sollten sie an die Heimleitung verweisen. Wie soll das funktionieren? Ein Beispiel: Fußballspiel Deutschland gegen Algerien. Da sitzen 39 Algerier friedlich zusammen, nur einer stänkert. Der Sozialbetreuer gibt uns die Anweisung, wegen des einen Stänkerers den Stecker aus dem Fernseher zu ziehen. Die Debatten danach können Sie sich ja vorstellen . . . Und überlegen Sie sich bitte die Situation dieser Menschen: Das sind teilweise intellektuelle, hoch gebildete Menschen. Sie werden zur Untätigkeit gezwungen, es herrscht die pure Langeweile angesichts der viel zu langen Verfahrensdauer ihres Antrages. Dazu kommt noch die Enge, die mangelnde Intimsphäre – das entlädt sich dann in solchen Situationen.

NZ: Die Männer, gegen die jetzt ermittelt wird, kommen von einem Subunternehmen. Deren Einsatz soll begrenzt werden.

Wittmann: Es ist abwegig zu glauben, dass die derzeitigen Vorgänge im Flüchtlingswesen, mit denen alle Glieder in der Bearbeitungskette ihre erheblichen Kapazitätsprobleme haben, ohne die Einschaltung von Subunternehmen geschultert werden können. Kein privates Sicherheitsunternehmen kann in wenigen Tagen, teilweise in wenigen Stunden wie im Fall Burbach, vier Wachpersonen für Flüchtlingsheime abstellen.

NZ: Wie geht es jetzt weiter?

Stilper: Wir sind auf dem Gebiet der Absicherung von Flüchtlingsheimen ein seriöser Partner. Die Zusammenarbeit mit European Homecare besteht ein gutes Jahrzehnt. Wir arbeiten aktiv mit den Ermittlungsbehörden zusammen, um diese unsäglichen Vorgänge restlos aufzuklären. Aber eines muss auch gesagt werden: Es sind alle überfordert. Wir werden zu oft alleine gelassen.

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