Radfahrer John Degenkolb bei Rad-WM in Australien

30.9.2010, 05:56 Uhr
Radfahrer John Degenkolb bei Rad-WM in Australien

© Uwe Mühling

„Ein Fußballer wird er nicht“, hat Frank Degenkolb schnell festgestellt, als er seinen Sohn in jungen Jahren beim Kicken im Trikot des SC Ettenstatt beobachtete. Doch der damals Neunjährige hatte Spaß am Fußball, der speziell am Land die Sportart Nummer eins ist bei den Jungs. Ir­gendwie schaffte der Vater – selbst ein erfolgreicher Radfahrer in der früheren DDR – es dann doch, den Sohn zur Teilnahme an einem Radrennen zu überreden. Als der Filius dabei auf Anhieb sein Können unter Beweis stellte und gewann, war er vom Rennfieber gepackt.

Seither hat John Degenkolb seine Karriere zielstrebig verfolgt. Beim
RC Germania erkannte man das Ausnahmetalent, das anfangs noch vom Vater trainiert wurde, frühzeitig und förderte es. Für den Weißenburger Radsportclub fuhr John auch die ers­ten Titel ein – bis hin zur Deutschen Meisterschaft bei den Schülern und bei der Jugend (2003 und 2005). Nach dem Realschulabschluss in Weißenburg folgte 2008 der Wechsel ins semiprofessionelle Thüringer Energie Team – verbunden mit einer Ausbildung bei der Polizei . . .

. . . und vor allem mit Titeln und Topplatzierungen. So ist der Kapitän des Energie Teams als amtierender Deutscher U23-Straßenmeister zur WM nach Australien geflogen und führt aktuell auch souverän die Bun­desliga seiner Altersklasse an. An Weltmeisterschaften hat er ebenfalls gute Erinnerungen. Bereits 2007 bei den Junioren holte er sich in Mexiko „Silber“ im Einzelzeitfahren. Ein Jahr später gewann er beim Straßenrennen der U23 in Italien überraschend den dritten Rang und damit WM-Bronze. Fehlt jetzt eigentlich nur noch Gold?

Ein erster Platz oder auch eine Medaille beim Straßenrennen am morgigen Freitag in Geelong bei Melbourne  wäre der krönende Abschluss seiner U23-Zeit, denn zum Jahresende wird John Degenkolb das Thüringer Energie Team verlassen und zu HTC-Columbia wechseln. Der entsprechende Vertrag ist bereits unterzeichnet. Der 21-Jährige verzichtet damit auf sein letztes U23-Jahr und gibt vorzeitig sein Debüt als Profi. „Ich freue mich sehr auf die nächsten zwei Jahre bei HTC-Columbia und auf die kommenden Aufgaben", sagt Degenkolb. Bei seinem künftigen Rennstall sieht er die „besten Voraussetzungen, um mich als Rennfahrer weiterzuentwickeln“.

Der Manager des Thüringer Teams, Jörg Werner, sieht den Wechsel seines Kapitäns mit einem lachenden und einem weinenden Auge. „John hat ei­nen riesigen Entwicklungsschritt gemacht und ist in diesem Jahr in Deutschland der absolute Überflieger. Er hat auch international einige Siege vorzuweisen. Jetzt folgt der logische Schritt, damit er sich noch steigern kann“, erklärt Werner. Degenkolb brauche das härtere Rennprogramm, um sich weiterentwickeln zu können. „Für John wäre ein weiteres U23-Jahr ein verschenktes Jahr. Deshalb legen wir ihm auch keine Steine in den Weg, auch wenn sein Weggang für uns schwer zu kompensieren ist“, sagt der Manager.

Überraschung durch Vater Frank

In diesen Tagen gilt bei John De­genkolb alle Konzentration aber nicht dem baldigen Wechsel, sondern der unmittelbar bevorstehenden WM. Nach einer äußerst strapaziösen Anreise Ende letzter Woche mit stundenlangen Wartezeiten ist der gebürtige Geraer ­inzwischen „Down Under“ gelandet. „So etwas habe ich noch nicht erlebt. Vier Stunden im Flieger, eingeengt im Sitz, und nichts tut sich. Das schlaucht“, erzählt „Dege“, wie der Radsportler mit Spitznamen heißt.
Mit reichlich Verspätung ging es los nach Singapur, wo der Anschlussflug natürlich auch noch verpasst wurde. „Wir mussten dort einen Tag bei 30 Grad und höllischer Luftfeuchtigkeit überbrücken, bevor es am Abend weiterging.“

Er selbst habe die Reise gut überstanden. Und – fast genauso wichtig - die extra für die WM angefertigten ultraleichten Räder sind alle heil angekommen. „Die Räder sind der Hammer und beflügeln uns zusätzlich“, schwärmt der Allrounder, der sich inzwischen akklimatisiert und trainiert hat. Zudem verlief der letzte Test sehr gut, sodass der Titelanwärter Optimismus versprüht. Beim Herald Sun World Cycling Classic in Buningyong bei Melbourne über 150 Kilometer konnte er sich noch einmal intensiv belasten und den letzten Schliff für die Entscheidung am Freitag holen: „Das Rennen war sehr gut besetzt und schon mehr als WM-würdig.“

Eine zusätzliche Motivation für den morgigen Wettbewerb dürfte eine familiäre Überraschung sein: Vater Frank Degenkolb ist seinem Sohn, der nichts davon wusste, hinterhergeflogen und wird ihn vor Ort unterstützen. Seine Mutter Annett und seine Schwester Johanna werden zu Hause mitfiebern. Sie alle hoffen, dass John seine Stärken ausspielen kann. Er ist gut vorbereitet, fühlt sich topfit und kann vor allem eines: „John kann ein Radrennen einfach lesen. Dazu muss man geboren sein“, sagt Vater Frank. Kommt diese Qualität zum Tragen, dann winkt dem Hundsdorfer morgen ein weiterer, vielleicht sogar der größte bisherige Erfolg. Manchmal ist es halt doch gut, dass nicht alle zum Fuß­baller werden . . .