X-Klasse: Luxus-Laster von Mercedes

23.10.2017, 10:08 Uhr
X-Klasse: Luxus-Laster von Mercedes

© Hersteller

Noch gelten sie in Deutschland als eine Art Modeerscheinung - trotzdem sind Pick-ups hier in jüngster Zeit immer gefragter. Ihre Zahl ist noch gering (gut 21.000 Verkäufe im vergangenen Jahr), jedoch verbuchen sie ansehnliche Wachstumsraten. Viele Anbieter tummeln sich schon in diesem Segment, darunter Ford, GM, Toyota, Mitsubishi und Nissan. Möglichst schnell möchte nun auch Mercedes an der steigenden Nachfrage hierzulande teilhaben.

Kooperation mit Nissan

Vor allem aber wollen die Stuttgarter künftig auf den Hauptabsatzmärkten der mittelgroßen Pick-ups in Südamerika und Asien mitmischen. Um die Entwicklungszeit von gut vier auf drei Jahre zu verkürzen - gewiss auch um Kosten zu sparen - wählten die Daimler-Strategen eine Kooperation mit Nissan, einem in dieser Sparte seit langem erfolgreichen Autobauer.

In vielen Ländern der Erde spielt der Pick-up schon seit Jahrzehnten eine bedeutende Rolle. So staunten USA-Touristen zum Beispiel bereits in den siebziger Jahren nicht schlecht über die dort so stark verbreiteten großen Pick-ups. Und noch mehr über die fragwürdige Sinnhaftigkeit des Konzepts mit der großen, meist offenen Ladefläche hinten. Denn in die stattlichen Pick-ups kletterte mitunter eine junge, manchmal sogar zierliche Amerikanerin ins Führerhaus, meist in das eines Ford F-150, des in vielen Teilen der USA meistverkauften Modells. Strange: Auf der Ladefläche hinter der Dame gähnende Leere - gerade mal ein Sixpack (Bier) war zu erspähen.

X-Klasse: Luxus-Laster von Mercedes

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Im mittleren Westen und in den nördlichen Weiten des Landes konnte freilich der Farmer als typischer Nutzer viel mehr mit dem Fahrzeug anfangen. Aber in den Städten des Ostens und Westens galt und gilt der Pick-up mit seinem eigentlich simplen Konzept zunehmend als Ausdruck von urbanem Lifestyle.

Für die Stadt und für die Wildnis

Lifestyle ist zwar auch beim neuen Mercedes angesagt, aber trotzdem ging es auf ersten Probefahrten (in Chile) mehrmals in ziemlich schwieriges Gelände. Dort konnte der allradgetriebene Pick-up zeigen, was er kann. In den Bergen demonstrierte er über Stock und Stein sein Können, ausgerüstet mit aller verfügbaren Technik und elektronischen Helferchen im Gelände. Beim neuen Mercedes sind es besonders viele. Und "intelligent" vernetzt ist der "X" sowieso.

Mercedes nutzt den Leiterrahmen des Nissan Navara und Antriebselemente wie den Vierzylinder-Diesel und die Siebengang-Wandlerautomatik. Die Karosserie haben die Stuttgarter so modifiziert, dass sie eigenständig wirkt, vor allem dank des monumentalen Kühlers und den Mercedes-typischen Scheinwerfern. Auch breiter tritt der "X" auf, was den Eindruck vom bulligen Pick-up optisch noch verstärkt. Mercedes hat Wert darauf gelegt, dass "der neue Stern" in die SUV-Palette passt, wie Nutzfahrzeugchef Volker Mornhinweg betont.

Mercedes baut das 5,34 Meter lange Auto nur als Doppelkabine, also mit vier Türen und bis zu fünf Sitzplätzen. Über das Raumangebot auch im Fond kann man nicht klagen. Gepäckraum? Na, eben die Ladefläche. Aber dank mannigfaltiger Zubehör-Lösungen gibt es alle möglichen Arten von Kofferaufbauten und Abdeckungen.

Bekanntschaft mit dem X 250 d 4Matic

Auf der Piste waren wir zwei Tage mit dem X 250 d 4Matic. Der 2,3-Liter-Vierzylinder-Diesel des Allradlers leistet 190 PS und 450 Newtonmeter Drehmoment. Sie reißen zwar in der Praxis keine Bäume aus, aber wenn sie auf Touren kommen, reichen sie im Alltag völlig aus. Wer das Gaspedal durchdrückt, kann den X 250 d in 11,8 Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100 beschleunigen und kommt in der Spitze auf 175 km/h. Der Spritkonsum wird im genormten Mix mit 7,9 l/100 km (207 g/km CO2) angegeben. Neun bis zehn Liter Diesel dürften es aber in der Praxis schon sein, wie ein erster Test (gemischte Strecke, ohne schnelle Autobahnen) erahnen ließ.

Insider wissen es: Um die im Vergleich zur Vorderachse (in unbeladenem Zustand) leichte Hinterachse zu kaschieren, schnallen die Anbieter den Pick-ups bei Probefahrten gern einen Wassertank auf die Ladefläche. Sogleich fährt sich nämlich ein Pick-up spürbar geschmeidiger, springt nicht über Unebenheiten und bügelt sogar Bodenwellen ein wenig weg. Beim "X" hat Mercedes darauf verzichtet, weil das Fahrwerk harmonischer abgestimmt ist, wie wir schon nach einigen Kilometern bestätigen konnten. Auch das jeweilige Gewicht auf die beiden Achsen wurden ausgewogener verteilt, sagen die Techniker. An den Haken nimmt der "X" bis zu 3,5 Tonnen; zuladen lassen sich bis1000 kg.

Fährt sich fast wie die V-Klasse

Das alles ist gut für die wohl üblichen Einsatzzwecke in Deutschland: Für das urbane Leben ist ein vielseitiges Mehrzweckfahrzeug gefragt. Mit Platz für Freizeit und sportliche Hobbies. Die erwähnten Extralasten zur Erhöhung des Fahrkomforts erhöhen nur den Verbrauch und senken die Fahrleistungen. Der "X" mit seiner breiten Spur rollt weich ab. Angenehm ist das niedrige Geräuschniveau, bei flottem Autobahntempo singen nur die breiten Reifen. Der Pick-up fährt sich fast wie die Mercedes V-Klasse. Gewöhnen muss sich der X-Fahrer allerdings an die ziemlich indirekte Lenkung, die in engen Kurven und beim Rangieren spürbar wird.

X-Klasse: Luxus-Laster von Mercedes

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Insgesamt drei Ausstattungsstufen sind vorgesehen. In Deutschland wird der "X" selten die Rolle des Arbeitstiers spielen, deshalb soll für diese Zielgruppe die Basisausstattung wegfallen. Ohnehin will Mercedes vorrangig die Premium-Kunden ansprechen. Hochwertig wirkendes Interieur, Lederbezüge mit Doppelnähten oder "Trimm im Aluminium-Look", aber auch eine Strapazierversion soll es geben in der großen Palette von Stoffen und Farben. Über der Linie "Progressive" ist die "High-End"-Stufe "Power" angesiedelt.

Nächstes Jahr kommt der V6-Diesel

Ob die Topversion höchsten Ansprüchen genügt, wird sich zeigen. Sie kommt eh erst im Sommer 2018 mit V6-Diesel. Er leistet 258 PS, ein echtes Mercedes-Aggregat, das wir bei der Vorstellung nur auf dem Beifahrersitz des Prototypen genießen durften. Das Topmodell kommt ausschließlich mit Allradantrieb. Optional kann es mit einer Dynamikregelung geliefert werden. Schon ab November sind die anderen Motorisierungen erhältlich, darunter der von uns gefahrene X 250 d mit Biturbo, den es als X 220 d mit gleichem 2,3-Liter-Hubraum auch nur mit einem Turbolader und 163 PS gibt. Die Siebengang-Automatik ist für den X 250 d und den X 250 d 4Matic verfügbar. Der Einstiegspreis der X-Klasse für den X 220 d beträgt 37.295 Euro, das vorläufige Topmodell X 250 d 4Matic kostet ab 41.780 Euro.

Ausgerechnet auf dem bevorzugten Pick-up-Terrain der USA soll die X-Klasse übrigens nicht zum Einsatz kommen. Während die rustikalen Lastenträger bei uns wegen ihrer Größe und ihres Gewichts durchaus auch mit Argwohn betrachtet werden, sind sie im Midsize-Format für den amerikanischen Markt schlichtweg zu klein.

Ingo Reuss

Mercedes X-Klasse in Kürze:

Wann sie kommt: Im November 2017

Wen sie ins Visier nimmt: Nissan Navara, VW Amarok, Ford Ranger, Toyota Hilux, Renault Alaskan, Mitsubishi L200, Fiat Fullback

Was sie antreibt: Ausschließlich ein 2,3-l-Vierzylinder-Diesel mit 163 und 190 PS

Was sie kostet: Ab 37.295 Euro

Was noch folgt: Im Sommer 2018 ein V6-Diesel mit 258 PS     

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