"Am Strand": Zwei Schiffbrüchige in Sachen Liebe

21.6.2018, 09:00 Uhr

© Prokino

Manchmal ist es das Unausgesprochene, das eine Beziehung scheitern lässt. Etwa wenn das Unvermögen, dem anderen offen Auskunft über die eigene Gefühlsgemengelage zu geben, zu Missverständnissen und falschen Interpretationen führt. Für Florence und Edward, die sich im Jahr 1962 nach ihrer Hochzeit für die Flitterwochen in einem Hotel am südenglischen Chesil Beach einquartieren, ist das zunächst kein Thema. Man sieht sie am Kieselstrand unbeschwert über Rhythmus und Harmonien eines Rocksongs plaudern. Die junge Frau ist tiefer im Thema verwurzelt, später erfährt man, dass sie Geige spielt und viel Herzblut in ihr Streichquintett investiert.

Wie groß jedoch die Anspannung der beiden vor der ersten gemeinsamen Nacht, sprich, dem ersten Sex ist, zeigen die folgenden Szenen. In der sehr genauen Inszenierung von Theaterregisseur Dominic Cooke vermitteln Saoirse Ronan als Florence und Newcomer Billy Howle ("Vom Ende einer Geschichte") als Edward ungemein überzeugend die Unsicherheit ihrer Figuren. Beim Dinner sitzen sie sich steif und distanziert gegenüber, die Kamera gönnt ihnen hier kaum ein Bild der Zweisamkeit, stattdessen fängt sie präzise die widerstrebenden Gefühle ein, die sich in den Gesichtern spiegeln.

Florence und Edward lieben sich aufrichtig. Woher ihre schmerzlich komplizierte Beziehung und ihre unterschiedlichen Erwartungen an die Liebe rühren, deuten viele Rückblenden an. Ian McEwan, der zum heutigen Kino-Start 70 wird, hat selbst das Drehbuch für "Am Strand" (im Original "On Chesil Beach") geschrieben. Seine Geschichte führt dem Zuschauer einerseits die spießige Upper-Class-Gesellschaft im England Anfang der 60er Jahre vor. Chuck Berrys "Roll over Beethoven" mag zwar aus dem Radio klingen, auch die Anti-Atom-Bewegung gibt es bereits, doch Florences feine Familie hält streng an den alten Konventionen fest. Edward, der in ungleich chaotischeren Verhältnissen lebt, ist für sie bloß ein Bauerntölpel. Das Korsett seiner Zeit und seiner Erziehung kann das Paar nicht abstreifen. Und über der makellosen Erscheinung und Feinsinnigkeit von Florence liegt zudem so beklemmend wie verschleiert die Andeutung eines Missbrauchs.

Regisseur Cooke illustriert "Am Strand" mit atmosphärischen Bildern in satten Farben, die manchmal unwirklich erscheinen. Und er gibt seinen großartigen Hauptdarstellern die Zeit, die sie zum Entwickeln der Figuren brauchen. Das Ende der Beziehung kommt mit einer unerwarteten Wucht, die bei Zeitsprüngen bis in die Gegenwart noch mehrmals als Echo widerhallt. Das breite Cinemascop-Format lässt die Distanz zwischen Florence und Edward zusätzlich deutlich werden. Ein aufwühlender, kitschfreier Film über eine Liebe, die möglich gewesen wäre. (GB/110 Min.)

Verwandte Themen


Keine Kommentare