"Aus dem Nichts": Sehnsucht nach Gerechtigkeit

23.11.2017, 08:32 Uhr

© Warner

Als 2004 in der Kölner Keupstraße eine auf einem Fahrrad platzierte Nagelbombe explodierte, kam glücklicherweise niemand ums Leben. Fatih Akin und sein Co-Autor Hark Bohm haben den Anschlag nach Hamburg verlegt. Katja (Diane Kruger) hat die junge Frau noch gesehen, die das Rad vor dem Büro ihres türkischstämmigen Mannes Nuri (Numan Acar) abstellte und ihr zugerufen, sie solle es besser abschließen, sonst werde es geklaut.

Als sie Stunden später zurückkehrt, sind Nuri und ihr sechsjähriger Sohn Rocco (Rafael Santana) tot. Außer sich vor Entsetzen und Verzweiflung wird Katja dennoch mit Fragen des Kriminalbeamten konfrontiert, die - ähnlich wie im wahren NSU–Skandal - das Opfer selbst unter Verdacht stellen: War Ihr Mann Muslim, war er Kurde, war er politisch aktiv?

Fatih Akin hat mit "Aus dem Nichts" kein Politdrama über die Verbrechen des NSU gedreht, sondern einzelne Motive zu einer fiktiven und hochemotionalen Geschichte verdichtet, der man die Wut des Filmemachers über die hanebüchenen Ermittlungsfehler und Vorurteile immer anmerkt. Unterteilt in die Kapitel "Die Familie", "Gerechtigkeit" und "Das Meer" beginnt der Film mit der Heirat des Paares im Gefängnis, wo Nuri wegen Drogenhandels einsitzt. Schon die rohe Direktheit dieser ersten Bilder erinnert an Akins großartige Filme "Gegen die Wand" und "Auf der anderen Seite". Danach wird gleich acht Jahre weitergespult und für einen Moment das Glück einer Kleinfamilie sichtbar, das kurz darauf unwiederbringlich zerstört ist.

Konzentration auf Emotionalität

Obwohl sich Nuri mit einem Steuerberatungs- und Übersetzungsbüro längst eine bürgerliche Existenz aufgebaut hatte, vermutet die Polizei sofort, er sei in kriminelle Geschäfte verwickelt gewesen und Opfer eines Racheakts geworden. Sogar Katjas Eltern wenden sich gegen ihren Mann. Doch dann wird ein Paar aus der Neonazi-Szene als Täter festgenommen. Spürte der Film bis dahin mit ungeheurer Intensität dem Schmerz Katjas nach, wandelt er sich nun zum Justizdrama mit von Akin erbittert aufgestellten Fronten.

Während die Richter mit fast unbarmherziger Sachlichkeit agieren und das verdächtige Pärchen in seiner verstockten Unbeteiligtheit an Beate Zschäpe erinnert, setzt deren zur bösen Fratze verzerrter Verteidiger (Johannes Krich) auf zynische Störfeuer. Leidenschaftlich unterstützt durch ihren Anwalt Danilo (Denis Moschitto) muss die Nebenklägerin Katja gegen ein Gestrüpp von Vorurteilen kämpfen. Am Ende werden die Beteiligten freigesprochen, nicht weil die Richter sie für unschuldig halten, sondern mangels Beweisen.

Akin lässt sich in diesem Teil zur arg überspitzten Schwarz-weiß-Zeichnung hinreißen, die nicht zuletzt dazu dient, Katjas im letzten Kapitel verfolgte Rachepläne zu rechtfertigen. Wie sie für sich selbst Gerechtigkeit herstellt, darüber kann man durchaus streiten - und soll es wohl auch.

Mit "Aus dem Nichts" greift Fatih Akin ein hochpolitisches, bis heute nicht endgültig bewältigtes Thema auf. Dass er dabei auf jede Gesellschaftsanalyse verzichtet, mögen ihm manche vorwerfen. Doch hat die radikale Konzentration auf die emotionale Seite, auf das Leid der Hinterbliebenen hier eine zwingende Berechtigung. Die bewusst gegen das Opferstereotyp besetzte Diane Kruger wird dabei zum Gesicht des Films, sie verkörpert alle Facetten ihrer Figur mit so unmittelbarer wie eindringlicher Glaubwürdigkeit. (D/F/106 Min.)

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