Der Strippenzieher im Schatten der Macht

21.2.2019, 09:46 Uhr
Der Strippenzieher im Schatten der Macht

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Dass einem das Lachen aber auch vergehen kann, hat nicht nur mit den von Cheney zu verantwortenden Schandtaten zu tun, sondern mit McKays allzu deutlicher Absicht, seinen Protagonisten zu dämonisieren.

Richard Bruce "Dick" Cheney avancierte in den 60er Jahren aus dem Nichts vom haltlosen Trunkenbold zum Politaufsteiger. Im Film ist es seine überaus ehrgeizige Frau Lynne (Amy Adams), die ihn auf den rechten Weg bringt. Cheney wird zu einem Mann, der fortan jede Chance zu nutzen weiß, aber bewusst der Strippenzieher im Hintergrund bleibt und den sich Christian Bale mit dicker Maske und etlichen angefressener Kilos fast orginalgetreu anverwandelt.

"Und er tat es wie ein Gespenst"

Die Chronologie wird gleich zu Beginn über Bord geworfen. Auf die erste Szene, die den jungen Dick 1963 in Wyoming bei einer nächtlichen Trunkenheitsfahrt zeigt, folgt ein abrupter Schnitt zum Terroranschlag auf das World Trade Center 2001, der dem US-Vizepräsidenten – auf dem Höhepunkt seiner Macht angelangt – seine bisher größte Chance bietet. Von der Kommandozentrale des abwesenden Präsidenten, der noch in der Luft kreist, befiehlt er, jedes verdächtige Flugzeug abzuschießen. "Er veränderte den Lauf der Geschichte für Abermillionen Menschen – für immer. Und er tat es wie ein Gespenst", kommentiert die Erzählerstimme diesen Akt der Selbstermächtigung des Schattenmanns, dem noch viele weitere folgen sollten.

Doch zunächst geht es zurück ins Jahr 1968, zur prägenden Begegnung Cheneys mit seinem politischen Ziehvater Donald Rumsfeld (Steve Carell als sexistischer Hardliner mit Killerinstinkt). Als Cheney seinen Mentor fragt, "woran glauben wir wirklich?" stutzt Rumsfeld ungläubig und bricht dann in lautes Gelächter aus. Es ist der Moment, in dem Cheney alle Ideale aufgibt und seine wahre Berufung als hingebungsvoller Diener der Macht erkennt – für einen, der das Rampenlicht scheut, der erfolgversprechendste Weg, die eigenen Interessen durchzusetzen.

 

Bei einem politischen Fliegengewicht wie George W. Bush (toll: Sam Rockwell als planloser Einfaltspinsel), der ihn schließlich als Vizepräsidenten an seine Seite holt, hat er damit leichtes Spiel. Mit seinem durch die Bank nicht koscheren Team setzt Cheney durch, dass die komplette Exekutivgewalt im Amt des Präsidenten vereint wird – und damit bei ihm. Amerikas rigide Antiterrormaßnamen, der wider besseres Wissen erfolgte Einmarsch im Irak, die Foltergefängnisse – bei all dem, so suggeriert es der Film, war Cheney die treibende Kraft.

Und damit schießt Adam McKay übers Ziel hinaus. Zwar zeigt er auch die menschlichen Seiten Cheneys – den liebevollen Familienvater, der für seine Frau und die beiden Töchter alles tun würde und sich bedingungslos hinter die jüngere stellt, als sie gesteht, dass sie lesbisch ist. Aber zugleich zerrt er ihn gnadenlos als Hauptschuldigen auf die Anklagebank. An einer differenzierten Analyse der damaligen US-Politik mit ihren fatalen Folgen bis heute hat McKay sichtlich kein Interesse.

Dafür fährt er alles an Inszenierungstricks auf, was schon seinen Film "The Big Short" über die Bankenkrise zu einem Knüller gemacht hat: "Vice" wechselt nahtlos zwischen scheinbarer Doku und fiktionaler Nacherzählung, erfindet zwischendurch ein den USA leider nicht vergönntes Happyend, kippt oft grandios ins Surreale und erinnert in seinem Enthüllungsmodus stark an die Methoden von Michael Moore. "Vice" ist für acht Oscars nominiert, Christian Bale sollte ihn auf jeden Fall bekommen. (USA/132 Min.)

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