"Die kanadische Reise": Der unbekannte Vater

14.12.2017, 09:00 Uhr

© Temperclay

Seinen leiblichen Vater hat der in Paris lebende Mathieu (Pierre Deladonchamps) nie kennengelernt. Seine verstorbene Mutter hat ihm irgendwann gesagt, dass er die Folge einer kurzen Affäre ist, und der inzwischen 33-Jährige hat nie weiter nachgebohrt. Doch als ihn ein Unbekannter aus dem fernen Kanada anruft und nach seiner Adresse fragt, weil sein toter Vater Jean ihm ein Päckchen hinterlassen habe, steht für Mathieu fest: Er wird zur Beerdigung nach Kanada fliegen. Vor allem will er seine zwei Halbbrüder kennenlernen, von denen er bislang nichts ahnte.

Fast freudig tritt Mathieu die Reise an, auch wenn es ihm leid tut, dass er das Judoturnier seines kleinen Sohnes verpasst, den er aus einer gescheiterten, aber immer noch freundschaftlichen Beziehung hat. Mathieu liebt seinen Sohn über alles, aber jetzt ist da plötzlich der drängende Wunsch, dem anderen Teil seiner Herkunft auf die Spur zu kommen. Der Anrufer Pierre (Gabriel Arcand), der ein enger Freund von Jean war und ihn am Flughafen abholt, hält jedoch nichts davon, dass Mathieu sich seinen Halbbrüdern und der Witwe als außerehelicher Sohn offenbart. Das stifte nur zusätzliches Leid.

Immerhin willigt Pierre ein, dass Mathieu ihn und die beiden Brüder unerkannt bei der Suche nach Jeans Leiche begleitet, der beim Angeln im See ertrank und bislang nicht gefunden wurde. Dabei erlebt Mathieu, wie sich die Söhne schon bald um das Erbe des als Arzt reich gewordenen Toten streiten und keineswegs seinen brüderlichen Idealvorstellungen entsprechen. Der unwirsche Pierre dagegen taut immer mehr auf, zwischen ihm und Mathieu entwickelt sich eine von großer Sympathie getragene Komplizenschaft, und auch Pierres Familie reagiert auf den Gast mit warmherziger Zugewandtheit.

Der für seine leisen Dramen bekannte Franzose Philippe Lioret ("Die Frau des Leuchtturmwärters", "Keine Sorge, mir geht’s gut") verbindet in "Die kanadische Reise" ein komplexes Figurengeflecht mit einer faszinierenden Geschichte, in der sich stets neue Querverbindungen auftun und in der auch die kostbaren und banalen Dinge, ein teures Gemälde, ein Stethoskop, immer wieder in neuem Licht erscheinen.

Zugleich wirkt bei dieser fesselnden und mit großer Sensibilität erzählten Erkundung komplizierter Familienbeziehungen nichts gekünstelt oder rührselig verklärt. Vor allem die famosen Hauptdarsteller Pierre Deladonchamps und Gabriel Arcand spielen mit einer zurückhaltenden Präsenz, die nachhaltig für ihre Figuren einnimmt. Auch Catherine de Léan als Pierres Tochter sowie Marie-Thérèse Fortin als seine Ehefrau verleihen dem fast wie ein Thriller aufgebauten Film eine große Lebensnähe und Wahrhaftigkeit. (F/98 Min.)

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