"Innen Leben": Kein Entrinnen vor der Hölle

22.6.2017, 09:31 Uhr

© Weltkino

Der Lärm von Hubschraubern, Granateneinschlägen und Schüssen ist von Beginn an gegenwärtig. Wer sich nach draußen wagt, läuft Gefahr, von einem Scharfschützen getroffen zu werden. Was das für die Menschen in Syrien bedeutet, zeigt Van Leeuw so intensiv und eindringlich, wie es eine TV-Reportage niemals könnte.

Sein kammerspielartiges Drama spielt fast ausschließlich in einer Wohnung. Hier hat sich Oum mit ihren drei Kindern, dem Schwiegervater Abou, der Haushaltshilfe Delhani und dem Freund der ältesten Tochter vor den Kriegsgräueln verschanzt. Auch die Nachbarin Halima hat mit ihrem Mann Samir und dem kleinen Baby bei Oum Unterschlupf gefunden. Die Wohnung ist Zufluchtsort und Gefängnis, ihre Bewohner leben in ständiger Angst. Auch der schweigsame Abou kann seine Verzweiflung kaum verbergen: "Wieso schaust du da raus? Vergiss die Welt da draußen. Sie zählt nicht mehr", sagt er zu Oum, als sie einmal aus dem Fenster blickt.

Doch Samir muss nach draußen, um einen Journalisten zu treffen, der dem Paar bei der geplanten Flucht nach Beirut helfen will. Doch er wird noch im Hof von einem Schuss niedergestreckt. Delhani hat die schreckliche Szene beobachtet, sie will Samir bergen, vielleicht lebt er ja noch. Doch die strenge Oum, die sich bemüht, alles unter Kontrolle zu behalten, verbietet ihr, über den Vorfall auch nur zu sprechen. Und eine Bergung käme erst in der Nacht in Frage, tagsüber sei es zu gefährlich.

In diesem Moment, und später noch einmal mit fast unerträglicher Intensität, thematisiert der Film auch das große moralische Dilemma, in das die tödliche Bedrohung die Betroffenen stürzt. Untätig bleiben zu müssen, wenn in nächster Nähe Gewalt und größtes Unrecht geschehen, ist eine entsetzliche Erfahrung.

Auch der Zuschauer kann sich der klaustrophobischen Atmosphäre und dem Gefühl der Hilflosigkeit kaum entziehen. Die Kamera, die in ruhigen Nahaufnahmen die Räume abtastet, in denen die Vorhänge stets zugezogen sind, bleibt auch dicht bei den Figuren, zeigt, wie vor allem Oum sich um ein Stück Normalität bemüht und wie alle gelernt haben, mit den knapper werdenden Ressourcen auszukommen. Es gibt Momente berührender Zärtlichkeit, vor allem Oums kleiner Sohn Yazan wird gleichsam zur Verkörperung eines längst verlorenen freudvollen Lebens.

Doch die Gefahr rückt immer näher. Erst sind es laute Schritte im Treppenhaus, dann drei Männer, die an der Tür klingeln. Es könnten Scharfschützen oder Plünderer sein. Irgendwann dringen sie tatsächlich in die Wohnung ein...

Auf kleinstem Raum erzählt "Innen Leben" von der Tragödie des Krieges. Ein Film, der unter die Haut geht und von einem hervorragenden Ensemble getragen wird. Vor allem die Frauenfiguren sind mit Hiam Abbas als Oum, Diamand Abou Abboud (Halima) und Juliette Navis (Delhani) ganz stark besetzt. (B/F/Libanon/85 Min.)

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