"Jahrhundertfrauen": Das Leben bleibt eine ewige Baustelle

18.5.2017, 08:00 Uhr

© Splendid

Der 15-jährige Jamie steckt mitten in den Pubertätswirren. Seine Mutter Dorothea, die ihr Leben schon lange ohne Ehegatten meistert, will, dass aus ihrem Sohn ein anständiger Mann wird. Doch mit 55 hat sie das Gefühl, keinen Zugang mehr zu ihm zu finden. Deshalb bittet sie ihre junge Untermieterin, die Fotografin und Punkerin Abbie, und die 17- jährige Nachbarstochter Julie, ihr zu helfen.

Jamie hätte soviel weibliche Fürsorge gar nicht nötig. Zwar gibt es einige drängende Fragen in seinem Leben – etwa wie man eine Frau klitoral stimuliert oder wie er die schöne Julie, beste Freundin seit Kindertagen, dazu bringt, nicht nur bei ihm, sondern mit ihm zu schlafen. Doch eigentlich wirkt Jamie (Lucas Jade Zumann) als der stabilste Charakter in diesem Figurenreigen.

Mike Mills, Jahrgang 1966, erinnert sich in "Jahrhundertfrauen" an sein Erwachsenwerden und rückt zugleich drei Frauen ins Zentrum, die zum Spiegel einer Zeit im Umbruch werden. Der Film spielt 1979 in Kalifornien, die Flower-Power-Ära ist vorbei, in den USA steigen Arbeitslosigkeit und Inflation, und im Fernsehen hält Präsident Jimmy Carter seine berühmte Rede über die Vertrauenskrise in einer Gesellschaft, die ihre Werte an Besitz und Konsum misst.

In Dorotheas schönem, alten Haus ist von dem Wandel noch nicht viel zu spüren. Doch die Menschen, die hier zusammentreffen, haben alle mit sich zu kämpfen. Es wird viel geredet – immer wieder auch über die Frage, was das eigentlich heißt, glücklich zu sein – oder unglücklich.Von den Biografien, Träumen und Verletzungen der Protagonisten erfährt man in nostalgisch eingefärbten Foto-Montagen.

Mills inszeniert das mit hinreißender Leichtigkeit und rührt doch oft an Tragisches. Die Ängste seiner 1924 geborenen Mutter (großartig in ihrer Widersprüchlichkeit: Annette Bening) führt Jamie darauf zurück, dass sie in der Weltwirtschaftskrise aufwuchs. Abbie (Greta Gerwig), die gerade eine schwere Krebserkrankung überstanden hat, versorgt den 15-jährigen mit feministischen Büchern und nimmt ihn zu wilden Punk-Parties mit. Und Julie (Elle Fanning), die die Scheidung ihrer Eltern in einer Gruppentherapie zu bewältigen versucht, bleibt gegenüber Jamie dabei: Sex würde ihre Freundschaft zerstören.

Ins Zentrum dieses Beziehungsgeflechts rücken die Konflikte zwischen Mutter und Sohn. Jamie will Dorothea besser verstehen, doch die mag ihr Inneres – bei aller liebevollen Zuwendung – auch dem halbwüchsigen Sohn nicht offenbaren. Stattdessen versucht sie, seine Welt kennenzulernen, geht ins Punk-Konzert, hört sich die Platte von Black Flag an und merkt, wie fern ihr diese Welt ist. Gegenüber Abbie stellt sie einmal traurig fest: "Du erlebst Jamie draußen als Mensch. Das werde ich niemals."

Es stecken viele bittere Lebenswahrheiten in diesem Film, dessen Melancholie Mills mit befreiendem Witz auffängt. Dass Dorothea gemeinsam mit dem zupackenden Alt-Hippie William (Billy Crudup) während der gesamten Erzählung ihr Haus renoviert, wirkt fast als Metapher: Das Leben bleibt eine ewige Baustelle. (USA/118 Min.)

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