"Kolyma": Die Kunst, schwere Dinge leicht zu erzählen

21.6.2018, 09:00 Uhr

© Tag/Traum Filmproduktion

Gulag? Nie gehört. Die junge Frau vom einzigen Hot Dog-Brater in Magadan schüttelt den Kopf. "Oder meinten Sie Gulasch?". Stanislaw Mucha hat sich erneut auf Spurensuche begeben. Diesmal ist der polnische Regisseur ("Absolut Warhola"), der seit vielen Jahren in Deutschland lebt, die berüchtigte Kolyma-Trasse entlang gefahren. Die wird nicht ohne Grund "Straße der Knochen" und "der längste Friedhof der Welt" genannt und führt von Magadan Richtung Norden zu den Goldfeldern an der Kolyma und von dort aus weiter nach Jakutsk, der kältesten Großstadt der Welt.

Fast 2000 Kilometer geht die mühsame Reise mit dem Auto durch eine monochrome Landschaft, in der das Thermometer im Sommer auf über 40 Grad klettert und im Winter auf minus 65 Grad sinkt. Und ständig dieser bestialische Staub! All das stellte extreme Anforderungen an das Drehteam und seine Ausrüstung.

Der Hunger nach Farben spiegelt sich in der knallbunten Kleidung der Menschen wider, die in dieser Einöde leben und überleben – und auf Schritt und Tritt auf die Spuren der stalinistischen Terror-Herrschaft stoßen. Über Jahrzehnte wurde hier in den Gulags, den Arbeitslagern, geschuftet, gelitten und gestorben. Und es gehörte wahrlich nicht viel dazu, dort zu landen: ein flapsiger Spruch über Stalin genügte, um nach Sibirien verbannt und Teil einer gigantischen Gefängnisindustrie zu werden, in der es letztlich um kostenlose Arbeitskraft ging. Ein finsteres, grausames Stück russischer Geschichte also. Jeder Film darüber hätte problemlos ein Rührstück werden können. Regisseur Mucha jedoch spart sich jede Form von Betroffenheit und hält sich an das, was uns Charlie Chaplin einst gelehrt hat: über schwere Dinge leicht erzählen — in diesem Fall mit Musik, Ironie und einem untrüglichen Gespür für das Absurde im Leben.

Wo sich einst Millionen Zwangsarbeiter unter erbärmlichsten Bedingungen zu Tode schufteten, trifft er Menschen, wie kein Drehbuch sie zu erfinden wagen würde: Dubiose Goldbarone und verbitterte Militärveteranen, schweigende Eisangler und LKW-Fahrer, die ihre schweren Fahrzeuge auf dem Eis tanzen lassen, den jüngsten Schamanen Jakutiens und einen Erfinder, der seinen blinden Vater mittels Stromschlägen wieder sehend machen will. Schrullige Typen, die hier am Ende der Welt Tag für Tag der Natur und dem (eigenen) Leben trotzen, mit einem gerüttelt Maß an Sarkasmus, aber auch einer großen Herzlichkeit.

Nicht zuletzt erzählt dieser Dokumentarfilm viel über Russland und die ehemalige Sowjetunion, dieses immer wieder fremde, absurde Riesenreich, in dem bis heute so vieles so ganz anders läuft. Brutal sehenswerter Beitrag. (D/RUS/86 Min.)

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