"Loro...": Der Verkäufer, der seine Herde mit Träumen füttert

15.11.2018, 09:00 Uhr

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"Loro" beginnt mit einer bizarr-surrealen Szene: Ein weißes Schaf, das sich ins Foyer von Berlusconis Villa auf Sardinien verirrt hat, starrt gebannt auf die Bildschirme, über die eine hirnlose Rateshow aus dem TV-Imperium des Politikers flimmert, während die Klima-Anlage auf den Gefrierpunkt zusteuert und das Tier tot umkippt. Die Szene wird zur Metapher für eine verführte Gesellschaft, hypnotisiert vom strahlend-kalten Blendertum der Mächtigen.

Bereits mit "Il Divo" über den christdemokratischen Politiker Giulio Andreotti und dem oscarprämierten Meisterwerk "Die große Schönheit" hat Paolo Sorrentino in betörenden Bildern gefilmte, niederschmetternde Sittengemälde seines Landes ins Kino gebracht. In "Loro", erneut mit Toni Servillo in der Hauptrolle, zelebriert er die Exzesse der schamlosen Berlusconi-Fangemeinde bis zum Überdruss – und zeichnet seinen Protagonisten im Vergleich dazu fast als sympathische Figur.

Die erste Dreiviertelstunde des Films ist eine einzige Bunga-Bunga-Party, am Laufen gehalten von dem Zuhälter Sergio (Riccardo Scamarcio), der als Lobbyist in eigener Sache Politiker mit sexuellen Dienstleistungen besticht und sich nun an Berlusconi ranmachen will. Dafür mietet er eigens eine Villa auf Sardinien in Sichtweite an und lädt als Lockmittel scharenweise Prostituierte ein, die er kostenlos mit Koks versorgt.

Doch der Umworbene lässt sich lange nicht blicken, und als man ihn dann zum ersten Mal sieht, ist er kaum zu erkennen. Im orientalischen Gewand als Frau verkleidet, hat Berlusconi alle Hände voll zu tun, seine Ehefrau Veronica (Elena Sofia Ricci) aufzumuntern, die die Nase voll hat von seinen Eskapaden und sich scheiden lassen will. Auch politisch hat Berlusconi 2006 (das Jahr, in dem die Handlung beginnt) gerade eine herbe Niederlage erlitten und wurde von der Mitte-Links-Koalition aus dem Amt getrieben.

Nein, der Berlusconi, den Sorrentino zeichnet, ist nicht mehr der Unbesiegbare, sondern eine unendlich traurige Gestalt. Zwar immer noch ein bauernschlaues Schlitzohr, wie in den wenigen Gesprächen mit politischen Gegnern und Weggefährten deutlich wird, das für seine Wiederwahl vor Bestechung nicht zurückschreckt. Aber auch ein Mann, der merkt, dass seine Zeit vorbei ist. Er rieche wie ihr Opa sagt ihm eine seiner Gespielinnen auf Sergios Parties.

Dem Übermaß an Rausch und Fleischbeschau, das "Loro" absichtsvoll bis ins abtörnend Vulgäre treibt, setzt Sorrentino intime Einblicke in die Seele seines Protagonisten entgegen. Wenn Berlusconi einer Unbekannten am Telefon ein Haus anpreist, das gar nicht existiert, und zur Hochform aufläuft, offenbart sich der Verkäufer von Träumen, der er auch als Politiker immer war. Als er Veronica fragt, warum sie bei ihm geblieben sei, obwohl sie ihn verachte, lautet die Antwort: "Weil ich in dich verliebt war. Weil du die Menschen betörst."

Am Ende sieht man, wie aus den Ruinen der Kirche des vom Erdbeben zerstörten L’Aquila die Figur Christus’ als Schmerzensmann geborgen wird. Draußen auf die Trümmer gebettet, wird sie zum ergreifenden Sinnbild für das durch Korruption und politische Unmoral in den Untergang getriebene Bella Italia. (I/F/145 Min.)

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