"Schloss aus Glas": Gescheiterte Träume

21.9.2017, 08:00 Uhr

© Studiocanal

New York City, die feine Gesellschaft, Abendessen in teuren Restaurants. Auf der nächtlichen Heimfahrt im Taxi sieht die erfolgreiche Journalistin Jeannette Walls (Brie Larson) zwei Müllsammler am Straßenrand — und findet sich mit einem Mal in ihre eigene Kindheit und Jugend zurückgeworfen. In der musste sie mit ihren Eltern und ihren Geschwistern durch Amerika ziehen und in bitterer Armut in Bruchbuden und abrissreifen Häusern hausen, immer auf der Flucht vor Gläubigern und dem FBI.

Zwar hat Rex Walls (Woody Harrelson) diesen Traum von einem kleinen, solarbetriebenen Schloss aus Glas, das er für seine Familie bauen will. Doch weil er seine Dämonen beständig im Alkohol ertränkt und die Künstlermutter (Naomi Watts) wie besessen malt, gibt es für die Kinder oft tagelang nichts zu essen. Das "Schloss aus Glas" bleibt ein Traum, auch wenn Papa Rex nicht müde wird, die ewige Flucht als Abenteuer zu verkaufen und beständig bessere Zeiten verspricht. Da leisten die Geschwister eines Nachts einen Schwur: Wir werden es hier raus schaffen — gemeinsam!

Jeannette Walls’ autobiografischer Roman war auf dem Buchmarkt ein veritabler Bestseller. Regisseur Destin Daniel Cretton hat die Kindheitserinnerungen der New Yorker Gesellschaftsreporterin nun verfilmt. Vor allem Woody Harrelson als intelligenter, aber gescheiterter Freigeist mit Hang zur Selbstzerstörung läuft in "Schloss aus Glas" zu Höchstleistungen auf – und macht aus dem Träumer und Trinker Rex Walls einen ambivalenten Anti-Helden.

Überhaupt ist es die große Stärke dieses Films, dass er weder anklagt noch beschönigt, auch wenn die Buchvorlage noch krasser war. Lange zeigt sich der Film fein austariert, findet eine gute Mitte zwischen prekärer Vernachlässigung, emotionaler Härte und einer unkonventionellen Herzlichkeit, die vor allem die zweitälteste Tochter Jeannette mit ihrem Dad verbindet. Wie hier von Machtstrukturen in Familien erzählt wird und vom leisen Scheitern, ist niemals eindimensional.

Problem: Der Film ist zu lang geraten. Und das Finale viel zu rührselig und märchenhaft. Wir wollen an dieser Stelle nicht spoilern, aber wenn einem vollendeten Wohlfühl-Happy-End auch noch Realfilmszenen aus dem wirklichen Leben der Romanautorin nachgeschoben werden, dann ist das nicht nur sehr amerikanisch, sondern echt zu viel des Guten. Trotzdem: Sehenswert, vor allem wegen der schauspielerischen Leistung aller Beteiligten. (USA/128 Min.)

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