"Styx": Auswegloses Dilemma

13.9.2018, 08:00 Uhr

© Zorro

Rike ist Notfallärztin. Sie weiß, was zu tun ist, als sie zu einem nächtlichen Unfallopfer gerufen wird. Viel mehr erfahren wir in diesem Fast-Solo für die fabelhafte Schauspielerin Susanne Wolff nicht über ihre Figur, nur dass Rike fasziniert ist von der Insel Ascension, einst ein ödes Eiland, das auf Initiative von Charles Darwin in ein tropisches Regenwaldparadies verwandelt wurde.

Vor ihrem Segeltörn belädt Rike ihre Yacht mit Unmengen an Wasserflaschen und Lebensmitteln. Notwendig für die 5000 Kilometer lange Reise, zugleich verweist die Szene auf das Ungleichgewicht zwischen dem abgesicherten Leben einer deutschen Ärztin und dem jener Menschen, auf die sie bald treffen wird.

Der österreichische Regisseur Wolfgang Fischer nimmt sich viel Zeit, um Rike bei der Arbeit an Bord zu zeigen. Da sitzt jeder Handgriff, auch das schwere Unwetter meistert sie routiniert. Am Tag darauf entdeckt sie einen havarierten Fischkutter, die Flüchtlinge darauf winken, einige springen ins Wasser. Nur der 14-jährige Kingsley schafft es bis zu ihrem Boot. Die anderen werden, wenn keine schnelle Hilfe kommt, ertrinken.

Doch die alarmierte Küstenwache lässt auf sich warten und rät Rike dringend, dem Boot fernzubleiben, weil sie die Leute ohnehin nicht retten könne. Ein kreuzendes Frachtschiff verweigert die Aufnahme, die Reederei habe das verboten. Während Rike immer neue Mayday-Rufe absetzt, will der verzweifelte Kingsley lieber zum Trawler zurückschwimmen, als mit anzusehen, wie seine Schwester und die anderen Flüchtlinge ertrinken.

Der Film konstruiert für das moralische Dilemma, in dem Rike steckt, keinen Ausweg. Die Ärztin will den Menschen helfen, zugleich weiß sie, dass das unmöglich ist. Ihr Boot ist zu klein, und schon um den bewusstlosen Kingsley an Bord zu hieven, hat sie all ihre Kräfte aufbieten müssen.

In ruhigen, fast dokumentarischen Bildern, die umso beklemmender wirken, beobachtet die Kamera Rike bei ihrem Ringen um eine Entscheidung. Als die Küstenwache endlich eintrifft, werden mehr Leichen als Überlebende aus dem Boot geborgen. Der Zynismus der Abschottungspolitik Europas wird da eklatant offenbar: Der Tod ist ein willkommener Helfer.

Seenotrettung sei Beihilfe zur Schlepperei, so der aktuelle Tenor jener Politiker, die die Grenzen dicht machen wollen. "Styx" führt die unerträgliche Unmenschlichkeit dieser Haltung vor Augen und stellt die Frage nach der Verantwortung jedes Einzelnen. Ein klug konstruierter, unbequemer Film, der nachhaltig an das Gewissen des Zuschauers appelliert. (D/A/94 Min.)

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