"Vom Ende einer Geschichte": Trügerische Erinnerungen

14.6.2018, 09:00 Uhr

© Wild Bunch Germany/dpa

Reflektieren unsere Erinnerungen wirklich das, was wir erlebt haben? Oder rücken wir uns unsere Vergangenheit vielmehr so zurecht, dass wir bequem damit leben können?

Wie nachhaltig sich die eigene Geschichte beim Blick zurück klittern lässt, zeigt Barnes’ Roman und auch der Film am Beispiel des Ich-Erzählers Tony Webster. Abgesehen von seiner Grummeligkeit ist er ein alter Mann ohne Eigenschaften. Glücklich geschieden, begleitet er seine schwangere Tochter zum Geburtsvorbereitungskurs und verkauft hobbymäßig alte Leica-Kameras in einem Mini-Laden. Das war’s dann auch schon mit den spannenden Momenten des Alltags — bis Tony (Jim Broadbent) eines Tages durch ein sonderbares Vermächtnis mit einer dramatischen Episode aus seiner Jahrzehnte zurückliegenden Vergangenheit konfrontiert wird.

Der Senior erbt überraschend das Tagebuch eines engen Freundes aus Jugendtagen. Dieser Adrian war ein intellektueller Überflieger, der Tony einst die hübsche und geheimnisvolle Veronica ausspannte und sich bald darauf das Leben nahm...

Mit zahlreichen Rückblenden, die sich im schattigen Sepia-Ton von den Szenen der Gegenwart absetzen, und Tonys arg betulicher Erzählerstimme aus dem Off setzt sich allmählich das Bild der Ereignisse von damals zusammen. Regisseur Batra ("Lunchbox") lässt sich in dem über lange Strecken brav erzählten Film sehr viel Zeit, um die Verhältnisse von einst zu klären — fast so, als wolle er den Zuschauer nachempfinden lassen, wie lange sein Held braucht, um eine bestens verdrängte Schuld wieder ins Bewusstsein zu rufen. Die Schönfärberei der Vergangenheit war reiner Selbstschutz. Doch spätestens wenn Tony nach all den Jahren wieder auf Veronica (Charlotte Rampling) trifft, kommen Lebenslügen auf den Prüfstand, sortieren sich die Erinnerungen neu.

Es dauert eine Weile, bis sich die behäbige Inszenierung, die sich nicht immer an die Romanvorlage hält, mit Spannung auflädt und man sich für das Schicksal der Hauptfigur zu interessieren beginnt. Und tatsächlich gibt es gegen Ende einige berührende Momente. Die sind nicht zuletzt Jim Broadbent geschuldet, der seiner Figur ganz unaufgeregt einige Tiefe mitgibt. Doch die Wandlung vom Miesepeter zum nachdenklichen, netten alten Herrn geht dann doch etwas zu glatt. Anders als bei Barnes gibt es für Tony eine zweite Chance. (GB/ 108 Min.)

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