"Wintermärchen": Sinnsuche in der Gewalt

21.3.2019, 09:00 Uhr
Tommy (Thomas Schubert) und Becky (Ricarda Seifried) bei Schießübungen. Ihre Waffe werden sie später vorzugsweise gegen Ausländer richten.

© W-film/Heimatfilm/dpa Tommy (Thomas Schubert) und Becky (Ricarda Seifried) bei Schießübungen. Ihre Waffe werden sie später vorzugsweise gegen Ausländer richten.

Hinter dem harmlos klingenden Titel – "höhnisch" nennt ihn Regisseur Bonny bei der Preview im Nürnberger Casablanca – verbirgt sich ein überaus unbequemes Werk. Zu Beginn sehen wir Becky (Ricarda Seifried) und Tommi (Thomas Schubert) bei Schießübungen. Danach spähen sie mit dem Auto potenzielle Opfer aus, vorzugsweise Ausländer, das große Feindbild der beiden.

Der Zuschauer erkennt schnell, dass die Sehnsucht nach Gewalt aus einem öden Alltag resultiert, in dem offenbar nur gelegentlicher Sex noch ein bisschen Spaß bringt. Aber auch der scheint immer weniger zu befriedigen. Mit blankem Terror will das Pärchen seinem kläglichen Leben Bedeutung verleihen.

Bald gesellt sich Maik (Jean-Luc Bubert) zu dem Duo hinzu. Ein Macher- Typ, der dafür sorgt, dass die zunächst noch diffusen Terrorpläne in die Tat umgesetzt werden. Nach ihren brutalen Mordaktionen feiert die Bande mit Alkoholexzessen, was eher zwanghaft als ausgelassen anmutet. Auf subtile Weise wird spürbar, dass Gewalt nicht nur die Opfer, sondern auch die Täter – innerlich – zerstört. Der Alltag bleibt als Trio ebenso unerträglich öde, was man mit sexuellen Experimenten und viel Alkohol zu verdrängen versucht. Vergeblich ...

"Wintermärchen" ist nicht der erste Film, der die Taten des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) aufgreift. Es gab den teilweise durchaus gelungenen TV-Dreiteiler "Mitten in Deutschland". 2017 brachte Fatih Akin das Drama "Aus dem Nichts" ins Kino, das sich, ebenso wie Bonnys Film, lediglich von den tatsächlichen Begebenheiten inspirieren ließ und dabei mit großer Wucht die Opferperspektive schilderte. "Wintermärchen" mutet allerdings noch um einiges gewagter an.

Was es bedeutet, Menschen zu töten, wird in den Gewaltszenen fast körperlich spürbar, ohne dass blutige Details allzu deutlich ins Bild gerückt werden. Auch Sex spielt eine wichtige Rolle, was aber nicht der Befriedigung von Schaulust dient. Die Verrohung und Gefühlskälte der von den mutigen Darstellern hervorragend gespielten Figuren ist auch in diesen Szenen spürbar. "Es gibt eigentlich nichts, was diese Figuren machen, was nicht gewalttätig ist", so Bonny bei seinem Besuch in Nürnberg.

"Wintermärchen" verzichtet auf psychologische Erklärungsversuche und Wertungen, ebenso darauf, die Opfer zu charakterisieren, was die beunruhigende Wirkung noch erheblich verstärkt. Ein Film, den man kein zweites Mal sehen möchte. Allerdings nicht, weil er schlecht ist, im Gegenteil. (D/125 Min.)

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