"Wonder Wheel": Emotionale Achterbahnfahrt im Freizeitpark

11.1.2018, 09:00 Uhr

© Warner

Am legendären Strand von Coney Island, dort wo das südlichste Ende von Brooklyn in den Atlantik übergeht, sich früher die Vergnügungsparks aneinander reihten und viele der New Yorker Heiratsanträge gestellt wurden, siedelt Woody Allen seinen neuen Film "Wonder Wheel" an. Justin Timberlake spielt hier den Bademeister Mickey, der als Erzähler das Publikum direkt anspricht und von seinem Hochsitz am Strand den Überblick bewahrt, bis er sich selbst ins Geschehen einbezieht.

Neben seinem Baywatch-Job studiert Mickey Literatur und schaut auf die Wirklichkeit mit dem Blick des angehenden Dramatikers, der sich selbst die Rolle des romantischen Helden zugedacht hat. Eines regnerischen Tages stolziert Ginny (Kate Winslet) in ihrer ganzen melancholischen Pracht über Mickeys Strandabschnitt. Dieser ist gleich mit einem riesigen Schirm und Warnungen vor herannahenden Gewittern zur Stelle, und Ginny ihrerseits von solch ungewohnter Galanterie stark beeindruckt.

Das Leben hat es bisher nicht sehr gut mit ihr gemeint. Die erste Ehe mit einem Jazz-Drummer hat sie genauso wie ihre beginnende Schauspielkarriere durch eigenes Verschulden in den Sand gesetzt. Samt pyromanischem Sohn flüchtete sie sich in eine glücklose Ehe mit dem Karussellbesitzer Humpty (Jim Belushi), nun ist sie Kellnerin in einer Strandbar.

Die Affäre mit dem deutlich jüngeren, kultivierten Bademeister lässt sie von einem anderen, besseren Leben träumen, während für Mickey die Sommerliebelei eher ein dramatisches Forschungsprojekt darstellt. Als Ginnys Stieftochter Carolina (Juno Temple) das Interesse des Strandwärters weckt, beginnen die emotionalen Wirrnisse shakespeare’sche Ausmaße anzunehmen. Die romantischen Vorstellungen der Figuren vermischen sich mit der Eigendynamik der Lebens-Achterbahn und bieten einem kühn gecasteten Ensemble vielfache Entfaltungsmöglichkeiten.

Vor allem überzeugt Kate Winslet als Frau in den besten Jahren, die mehr vom Leben will als das, was es ihr im Amerika der fünfziger Jahre zu bieten hat. Wunderbar wie Winslet tiefe Sehnsucht und Verzweiflung am Rande zum Wahnsinn ausbalanciert und die Figur aus Allens ironisiertem Erzählstrom herauslöst. Aber auch Jim Belushi liefert als grober, proletarischer Ehemann und weichherziger Vater eine kraftvoll differenzierte Performance ab.

Die Stärken dieses sehenswerten, wenn auch nicht brillanten Woody-Allen-Jahrgangs liegen nicht nur wie üblich im Dialogischen, sondern auch in der farbenprächtigen Bildgestaltung Vittorio Storaros und dem stilvollen 50er-Jahre-Design. Die Gesichter der Protagonisten werden immer wieder in expressive Rot- und Blautöne getaucht, die vom Vergnügungspark direkt ins Wohnzimmer strahlen. Zeitkolorit, Dialogdynamik und Bildgestaltung lassen "Wonder Wheel" als Hommage an klassische Tennesse-Williams-Verfilmungen wie "Endstation Sehnsucht" erscheinen. Auch wenn Allens dramatisch-komische Abmischung noch einer gründlicheren Überarbeitung bedurft hätte und das Melodram unter Lachgas-Einfluss nicht immer aufgeht, ist "Wonder Wheel" allein von seinen optischen und schauspielerischen Reizen einen abendlichen Ausflug ins Kino wert. (USA/101 Min.)

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