Vegane Ernährung: "Weder abzulehnen, noch zu befürworten"

2.6.2013, 09:26 Uhr
Veganer greifen häufiger zu Obst und Gemüse - sind sie deshalb gesünder?

© Lisa Susu Hahn Veganer greifen häufiger zu Obst und Gemüse - sind sie deshalb gesünder?

Welche Vorteile hat eine rein pflanzliche Ernährung?

Raithel: Viele Menschen in der westlichen Welt sind übergewichtig, weil sie sich zu fleischhaltig und kalorienhaltig ernähren. Vorteil einer veganen Kost ist, dass die Gesamtkalorienaufnahme im Schnitt geringer ist als bei einer normalen Kost.

Wenn ich weniger Fett zu mir nehme, senke ich die Risikofaktoren in Bezug auf Arteriosklerose, Übergewicht und erhöhte Blutfette. Auf der anderen Seite essen Veganer bis zu 15 Prozent mehr Kohlehydrate als die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt, während der Eiweis- und Fettanteil oft niedriger ist als empfohlen. Wenn mehr Kohlenhydrate verzehrt werden, muss man damit rechnen, dass der Körper auch mehr Insulin ausschüttet und dass die Insulinwirkungen im Körper steigen, was wiederum zu Übergewicht führen kann.

Was uns zu den Nachteilen führt...

Raithel: Die Nachteile betreffen Eisen, Eiweiß, Vitamin B12 und Vitamin A – von diesen Substanzen wird weniger aufgenommen. Eisen zum Beispiel ist zwar in pflanzlichen Lebensmitteln vorhanden, aber die Verfügbarkeit für den Körper ist geringer – so kann es zu einer geringeren Eisenaufnahme kommen. Aber Eisenmangel können auch Menschen mit einer normalen Mischkost aufweisen.

Vitamin B12 ist sehr wichtig und wird hauptsächlich über tierische Produkte vergeben. Deshalb müssen Veganer stark darauf achten, sich B12-Präparate zuzuführen. In der Evolutionsgeschichte würde sich diese Ernährungsform wahrscheinlich nicht durchsetzen: B12-Mangel führt zu unter anderem zu Blutbildveränderungen (Anämie – Blässe, Müdigkeit), zu neurologisch-psychiatrischen Symptomen (Nervenentzündungen, Gangunsicherheit) und Brennen an Mund- und Schleimhäuten führen.

Bei pflanzlichen Nahrungsmitteln hat der Körper außerdem eine größere Mühe, die Eiweiße herauszulösen. Sie sind darüber hinaus nicht ganz so hochwertig wie tierisches Eiweiß, trotzdem allerdings gut zu verwenden für den Körper.

Was in der Forschung noch nicht ganz klar ist: Ist die Immunabwehr beim Veganer genau so schlagkräftig wie bei jemandem, der sich normal ernährt? Das ist noch offen. 
 

Vegane Ernährung:

© privat

Sollten Veganer also B12-Präparate zu sich nehmen?

Raithel: Ja, das ist ein wichtiger Punkt, wobei bei veganer Ernährung ein kleiner Teil des Vitamin B12 auch durch Bakterien gebildet werden kann, langfristig ist über Jahre aber oft nicht ausreichend. Zudem kommt es darauf an, welche Bedürfnisse eine Person hat - ein Leistungssportler bekommt schneller Mangelerscheinungen beziehungsweise erreicht nicht seine optimale Leistungsform als eine Person mit weniger starker körperlicher Beanspruchung. Es ist abhängig von den Belastungen, die die einzelne Person hat. Durch weniger Aufnahme von Vitamin B12 besteht die Gefahr, dass der Patient leichter im Stoffwechsel eine Arteriosklerose entwickelt und z.B. eine Hyperhomocysteinämie auftritt. (Anm. d Red.: Erhöhte Homocysteinwerte im Blut schädigen Herz und Blutgefäße).
 

Kann ich mit veganer Ernährung sportliche Höchstleistungen erbringen?

Raithel: Ja, das geht, es gibt einige Goldmedaillengewinner, die vegan leben. Man muss nur mit einem wesentlich größeren Zeitaufwand für die Zusammenstellung des Essens rechnen, so dass alle Erfordernisse, damit über eine möglichst vielfältige Lebensmittelauswahl, erfüllt werden.

Wenn man allerdings topfit sein will, ist es sinnvoll oder manchmal leichter, ein bis zwei Mal pro Woche tierische Produkte zu essen. Pflanzen haben zwar auch Eiweiße - die sind ja auch ausreichend - aber für den Knochenstoff-, Bindgewebs- und Muskelstoffwechsel braucht man schwefelhaltige Aminosäuren, die zu wenig in der veganen Ernährung enthalten sind. Das kann für Leistungsdefizite verantwortlich sein und die antioxidative Kapazität des Körpers beeinträchtigen.
 

Kann man mit veganer Ernährung abnehmen?

Raithel: Ja, abnehmen kann man auf jeden Fall. In vergleichenden Studien sieht man, dass die Veganer eine niedrigere Muskelmasse haben, einen niedrigen BMI – aber es gibt individuelle Ausnahmen. Wenn jemand sich besonders viel von Weizenprodukten oder anderen stärkehaltigen Lebensmitteln bzw. Obst (Fruktose) ernährt, dann kann er ein Übergewicht entwickeln oder eine verstärkte Ausschüttung von Insulin, was ungünstige Effekte auf den Stoffwechsel oder die Leber bedeuten kann.
 

Kann pflanzliche Ernährung Allergien und Zivilisationskrankheiten lindern?

Raithel: Bezüglich Allergien liegen mir da keine gesicherten Erkenntnisse vor – im Gegenteil, durch die Verwendung von vielen Alternativprodukten, auch exotischen Produkten, die bei uns in Europa nicht heimisch sind, wie zum Beispiel Avocado, kann man sich auf exotische Früchte leichter sensibilisieren.

Mit veganer Ernährung kann man Allergien also nicht vermeiden, aber die Effekte auf den Blutdruck, auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen, sind positiv, weil man mit niedrigerem Körpergewicht und niedrigerer Aufnahme von gesättigten Fettsäuren Wohlstandskrankheiten wie Übergewicht, Diabetes und Bluthochdruck positiv beeinflussen kann.

In rein veganen Supermärkten gibt es inzwischen schon vegane Pizza mit Ersatzkäse zu kaufen.

In rein veganen Supermärkten gibt es inzwischen schon vegane Pizza mit Ersatzkäse zu kaufen. © Peter G. Spandl

Im Falle von Allergien ist ein Mischweg mit mediterraner Ernährung und Mischkost, außerdem ein bis zwei Mal die Woche Fleisch zu empfehlen. Und wenn man sich ungesättigte Fettsäuren in Form von Fisch zuführt, kann man noch einige antientzündliche Effekte erzielen.
 

Der Veganer nimmt meist sehr viel Soja zu sich in Form von Tofu, Joghurt, Milch oder Granulat...

Raithel: Dagegen ist nichts einzuwenden, außer, dass man sich durch die Aufnahme immer wieder der gleichen Substanz leichter sensibilisieren und eine Allergie entwickeln kann. Oft betrifft dies Personen, die die Anlage zur Entwicklung einer Allergie haben. Deshalb ist es erforderlich langfristig eine vielfältige Lebensmittelauswahl anzustreben, was im Einzelfall einen deutlich höheren Zeit- und Planungsaufwand als bei Mischkost bedeuten kann.
 

Sollte ich mein Kind vegan ernähren?

Raithel: Nein, auf keinen Fall! Kinder, Stillende und Schwangere brauchen alle Nährstoffe - vor allem Heranwachsende, für eine ordentliche Muskelmasse, ausreichend viel Funktionsprotein (Immun- und Nervensystem) und ein richtiges Knochengrundgerüst.
 

In veganen Supermärkten gibt es immer mehr Fertigprodukte zu kaufen. Was halten Sie davon?

Raithel: Die vegane Ernährung kommt langsam in der Wirtschaft an und man will es dem Kunden so einfach wie möglich machen. Er braucht ja dann die Planungsarbeit selber nicht mehr durchführen. Natürlich muss ich hier warnen bezüglich Allergien und Inhaltsstoffen: Beim Fertigprodukt muss man immer genau lesen, was wirklich alles drin ist (Allergene) und ob dies überprüft wurde auf tierische Beimengungen oder sonstige Zusätze. 
 

Wie beurteilen Sie diesen Trend?

Raithel: Aus medizinischer Sicht ist diese Ernährungsform weder streng abzulehnen noch streng zu befürworten. Es gibt keine Empfehlung, dass vegane Ernährung besser oder schlechter ist. Wie man sich ernährt, ist eine Entscheidung, die jeder individuell trifft und zum Teil aus bestimmten Einstellungen herrührt. Ich habe auf gewisse Vor- und Nachteile hingewiesen, so dass ich das abschließend offen lassen würde.

Für Personen, die aber merken, dass sie keine optimale Leistungsfähigkeit aufweisen, untergewichtig sind, neurovegetative Beschwerden aufweisen oder gehäuft Infektionen haben, sollte mit einem Ernährungsmediziner und Diätassistenten eine Verbesserung der jeweiligen Ernährungsform besprochen werden und gegebenenfalls auf eine gesunde, zum Beispiel mediterane Mischkost gewechselt werden.

Ich persönlich bevorzuge eine Mischkost, weil ich privat und berufliche optimal leistungsfähig sein möchte. Aber das ist natürlich subjektiv und im Grunde eine philosophische Frage. 

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