Großer Laufsteg für haarige Schönheiten

4.9.2016, 20:19 Uhr
Großer Laufsteg für haarige Schönheiten

Hecheln, was das Zeug hält. Heiß und schwül ist’s – doch wer sich am Samstag auf dem Stadionrasen tummelt, ist vierpfotiger Vollprofi in Sachen Schönheitskampf und durchtrainiert wie ein Sportler. „Gebrauchshundklasse Rüden und Hündinnen – Gangwerksprobe Langstockhaar“, so heißt es auf dem Tagesplan. Was sich dahinter verbirgt? Es sind die wolligeren, vielfach „Altdeutsch“ genannten, die sich hier aufgereiht mit ihren Führern im Stand, Schritt und Trab auf dem grünen Catwalk präsentieren.

Johlen, Pfeifen, Tröten, Klatschen, Namen rufen – lebendig ist’s auf den Tribünen; denn sucht der Vierbeiner Frauchen, Herrchen oder Team im Stadion, ist seine Haltung erhaben und aufmerksam. Und genau so soll er sich vorm Richter präsentieren. Die Zweibeiner scheinen bei der Prozedur allerdings wesentlich mehr Adrenalin auszuschütten, während die schwarz-braunen und dunkelgrauen Models souverän ihre Kreise ziehen. Sie sind ja schließlich nicht einfach nur schön: Wer hier läuft, hat etliche Leistungsprüfungen abgelegt.

Ohrenstand und Unterwolle

Die vielfach besonders beliebten Langstockhaar Schäferhunde sind jedoch erst seit 2011 im Verein zugelassen. „Seitdem hat sich die Zahl der Aussteller verdreifacht“, erzählt SVPressereferentin Roswitha Dannenberg. Wer Champion wird, macht seinen Züchter glücklich. Zwar gibt’s kein Geld, nur Pokale, die aber mit nachhaltiger Wirkung: „Schöne Eltern versprechen schöne Ahnen, was künftige Welpen-Besitzer anzieht“, erläutert Dannenberg lächelnd. „Doch nicht jeder Aussteller ist Züchter: Manche freuen sich einfach, wenn von höchster Stelle attestiert wird: ,Sie haben einen wunderschönen Hund!‘“

Großer Laufsteg für haarige Schönheiten

48 Prozent der Aussteller kommen aus dem Ausland, und hoffen – wie die deutschen Kollegen – auf gute Noten für . . . Ja, wofür? „Sanft abfallende Rückenlinie, korrekter Ohrenstand, Haarlänge und Unterwolle, markantes Äußeres bei Rüden und grazileres bei Hündinnen, runder, leichtfüßiger Bewegungsablauf; schließlich soll ein Hund fähig sein, den ganzen Tag auf eine Herde aufpassen zu können . . .“, umreißt es Zuchtrichter Norbert Scharschmidt für Laien; auf „zuchtfachsprachig“ versteht der Uneingeweihte nämlich nur Bahnhof.

Angetan lässt Heinrich Messler, Präsident des SV wie auch der Weltunion der Schäferhundvereine (WUSV), den Blick schweifen. „Nürnberg hat ein hervorragendes Team und ist wie unsere linke Herzkammer.“ Siebenmal lief hier die Schau, nun drei Jahre hintereinander. „2017 sind wir mal in Ulm, das Stadion ist kleiner und ermöglicht mehr Family-Gefühl“, doch man käme mit Sicherheit wieder!

Allgemein sei man sehr konservativ gewesen, „wir sind dabei, das aufzulockern, befinden uns im Wandel“, sagt er über den 55 000 Mitglieder zählenden SV mit Sitz in Augsburg (fast eine halbe Million sind in der WUSV organisiert). „Wir wollen den Hund zurück in die Gesellschaft bringen.“

Ganz neu – der Wesens-Test

Dazu beitragen soll auch eine neue Disziplin im Potpourri der Prüfungen, für die Messler und viele andere nun das Stadion verlassen: Dort, wo sich vor der Hauptbühne Rock-im-Park-Fans in Ekstase johlen, herrscht nun gespannte Aufmerksamkeit, betreten Zuschauer, Präsentanten und Hunde mit der „Wesensbeurteilung“ doch Neuland. Über drei Jahre hinweg wurde die Prüfung dezidiert für neun bis zwölf Monate junge Schäferhunde entwickelt, „und soll, im Hinblick auf einen Gebrauchshund, als Vorschaltprüfung gelten“, erläutert Dannenberg. „Nichts ist heute wichtiger als ein sozialverträglicher Hund!“ So solle das Wesen, nichts Antrainiertes beurteilt werden können.

„Horst? Werd’ schon mal nervös, du bist gleich dran!“ Horst Kaim aus dem Landkreis Kronach aber lächelt nur: Sein gut einjähriger Rüde mit dem klangvollen Namen „Diego vom Universalgedanken“ ist die Ruhe selbst. Er ist einer von zwei Vierbeinern, die den umstehenden Menschen demonstrieren sollen, was hier künftig Punkte bringt. „Safira von Bad-Boll“ – man möchte zum Knicks ansetzen, besinnt sich aber rechtzeitig – sitzt zu Füßen von Claudia Schönfelder. „Wir gucken zu, sind mit fünf Monaten noch zu klein“, souffliert Frauchen. Im kommenden Jahr soll Safira ran, „als Vorbereitung auf die Begleit- und Schutzhundprüfung.“ Safira legt sich erst mal flach, das klingt ja alles so anstrengend.

Großer Laufsteg für haarige Schönheiten

Vor Diego betritt nun „Charlotta vom Zellwaldrand“ das abgesteckte Gelände. Körper messen, Sozialverhalten testen, Herrchen durch eine Gruppe finden, vorbei am fremden Hund? Kein Thema! Geräusch- oder schussempfindlich? Rauf auf die Wackelpalette (Stabilisationstest) und den „Höhenpfad“ mit irritierender Lücke. Wie spielt das Tier, wie bewegt es sich auf glattem Untergrund? Wie ist der Finderwille, und besteht es den Vereinsamungs-Test? Viel Applaus gibt es – das lässt hoffen.

„Aus dem Ausland haben wir nur positive Reaktionen, in Deutschland müssen wir noch Überzeugungsarbeit leisten“, erklärt Leistungsrichter Udo Wolters. „Wir haben 125 Jahre Züchtung, doch die Wesensparameter sind nie festgehalten worden. Nun kann man aufgrund dieser Prüfung Jahre später sehen, was aus dem Hund geworden ist, wie sich Motivierbarkeit, Trittsicherheit oder Spieltrieb vererben.“ Bis 2020 soll die Prüfung Weltstandard sein.

Safira gähnt, während sich ihre Verwandten und viele andere Großfamilien bekannter Zwinger aus dem In- und Ausland am Stadion entlang für den Einmarsch der Nachkommengruppen formieren. Kein Gebell, doch müffelt es hier nun deutlich. Die Spannung ist greifbar – im Stadion haben sich die Zuschauer bereits mit Kameras und Feldstechern postiert.

Auch Züchter Gerhard Fix und sein schöner „Rabin Allemania“ lassen den Ahnenaufmarsch nicht aus den Augen. Bis zu 30 Mal im Jahr ist Fix auf großen Schauen unterwegs – „doch das hier ist die Krönung“, sagt er strahlend. „Meine Hündin zu Hause muss demnächst gedeckt werden; ich bin auf der Suche nach einem Rüden.“ Die Suche nach dem Prinzen – eine Wissenschaft!

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