"Ich saß immer zwischen allen Stühlen"

3.6.2018, 19:06 Uhr

© Foto: Andreas Franke

"Aufrecht, solidarisch, verantwortungsbewusst, ruhelos, Metaller, Betriebsratsvorsitzender, Friedenskämpfer, Stadtrat, Ehemann, Vater und Großvater": Eigentlich ist damit alles gesagt. So steht es auf der Einladung zu Patzelts Geburtstagsfeier im Gewerkschaftshaus heute Abend. Verfasst von der Gruppe "Die Zeitlosen", ehemalige Gewerkschafter, die sich noch regelmäßig treffen. Und die Hans-Joachim Patzelt ein Fest zu seinem 80. spendieren.

Der Mann hat polarisiert. Über Jahrzehnte. "Ich saß immer zwischen allen Stühlen", sagt der gebürtige Breslauer über sich selbst. Als Betriebsratsvorsitzender bei Kanis Turbinenfabrik in der Nürnberger Südstadt hat Patzelt so manche Konflikte mit der Geschäftsleitung ausgefochten. "Wir sind diejenigen, die die Werte schaffen", hält er den Managern immer wieder entgegen.

"Was habe ich den Kapitalismus kritisiert!" Marx, der vor 200 Jahren geboren wurde, sei an ihm nicht spurlos vorbeigegangen. "Doch ich bin kein Marxist", betont Patzelt. Gekämpft hat er trotzdem, elf Monate 1988 zum Beispiel für den Erhalt des Kanis-Werks. Es stehe noch heute und gehöre zu Siemens, sagt er stolz.

Im Winter 1944/45 kommt er mit seiner Mutter und drei Geschwistern von Breslau über Umwegen nach Nürnberg. Der Vater ist Berufssoldat. "Es hat sich auf der Flucht bei mir eingebrannt, was Krieg bedeutet", berichtet Patzelt und erzählt warmherzig von der großen Fürsorge der Mutter.

Hans-Joachim Patzelt, Vater einer erwachsenen Tochter und seit 1964 verheiratet, ist ein ausgeprägter Familienmensch. Er spricht liebevoll von seinen drei Schwestern. Mit seiner Enkelin verbringt der Opa gerne Zeit Sie ist seine Brücke in die Zukunft, über die sich der hochpolitische Mensch stets viel Gedanken – und Sorgen – macht.

Der Ex-Gewerkschafter und Mitbegründer der Nürnberger Friedensbewegung geht noch heute auf die Straße, wenn es gegen Rechtspopulisten und -extreme geht, am 1. Mai demonstriert wird oder der nächste Ostermarsch ruft.

"Als Flüchtlingskind musste ich mir mein Selbstbewusstsein erst erarbeiten", sagt Patzelt. In Nürnberg schließt er die Mittelschule ab und lernt bei Kanis Technischer Zeichner. An der Abendschule macht der junge Mann seinen Techniker. Politisiert worden sei er erst durch die 68er-Bewegung – "und durch die DKP". Ihre Skepsis gegen die Institutionen teilt er.

Seine politische Arbeit verlegt Patzelt lange Zeit in den Betrieb, erst später – von 2008 bis 2014 – zieht es ihn als Senior noch in den Nürnberger Stadtrat. Auf dem Ticket der "Linken Liste" erst, mit der er sich schnell überwirft. Dann in der von ihm selbst gegründeten "Offenen Linken", später für kurze Zeit bei den Piraten. Unstet. Rastlos. Unangepasst. Dann wieder die "Offene Linke".

Seiner Glaubwürdigkeit im lokalpolitischen Betrieb hat das Hin und Her eher geschadet. "Ich war immer ein Radikal-Demokrat. Ich passe in keine Partei. Ich war auch nie in einer Partei. Bis auf vier Wochen bei den Piraten." Ja, und er hat auch viele im Rat oft genervt mit seinen endlosen Reden und seiner Uneinsichtigkeit.

Was viele über Hans-Joachim Patzelt, den Friedensaktivisten par exellence, nicht wissen: Der Mann war als Wehrpflichtiger bei den Gebirgsjägern. "Ich war", sagt er eher beiläufig im Gespräch, "damals ein Elitesoldat bei den Pionieren."

Er sei immer sehr sportlich gewesen, habe Fußball gespielt, sei Ski gefahren. Da kamen ihm die Anforderungen als Soldat gerade recht. "Da war ich noch nicht so politisch", entschuldigt sich der Friedensaktivist fast schon für den Dienst an der Waffe. "Ich war ein Kleinbürger, der damals noch an die Obrigkeit und den bösen Osten geglaubt hat." Aber irgendwie ist er heute dennoch mit sich im Reinen.

Im Keller lagern 200 Aktenordner. Sein (politisches) Leben zwischen Pappdeckeln. Da Hans-Joachim Patzelt gerne doziert, hat er dem Redakteur einen Ordner mit "den wichtigsten Unterlagen" mitgebracht. Und – nur so als Anregung – auch ein zweiseitiges Interview mit sich selbst. Aus dem dürfe man gerne zitieren.

Das mit dem Selbstbewusstsein hat geklappt. Über sich selbst sagt er augenzwinkernd: "Ich bin noch immer verrückt." Aber irgendwie auf eine angenehme, sympathische Weise.

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