Israel, Palästina und die Folgen der Trump-Rede

29.12.2017, 18:59 Uhr
Ernstes Thema, entspannte Stimmung: Mostafa Eljojo und André Freud sind nicht in allem einer Meinung, was den israelisch-palästinensischen Konflikt angeht, haben aber doch etliche Gemeinsamkeiten. Die beiden duzen sich übrigens.

© Ralf Rödel Ernstes Thema, entspannte Stimmung: Mostafa Eljojo und André Freud sind nicht in allem einer Meinung, was den israelisch-palästinensischen Konflikt angeht, haben aber doch etliche Gemeinsamkeiten. Die beiden duzen sich übrigens.

In der Redaktion zu Gast waren Mostafa Eljojo, der Vorstandsvorsitzende der Islamischen Gemeinde Nürnberg (IGN), und André Freud, der Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Gesellschaft in Nürnberg.

Herr Eljojo, Herr Freud, was war Ihre allererste Reaktion auf die Rede des US-Präsidenten, in der er die Verlagerung der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem verkündet hat?

Mostafa Eljojo: Ich möchte mich als Mensch und auch als Betroffener dazu äußern, nicht nur als Angehöriger einer Religion. Trump ist demokratisch gewählt, aber die politische Richtung, für die er steht, sehen wir kritisch. Ich bin besorgt, dass wir es nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg und der Gründung der Vereinten Nationen noch immer nicht geschafft haben, auf der Grundlage des Rechts zu entscheiden.

Wenn das mächtigste Land der Welt eine Entscheidung trifft, die den entsprechenden UNO-Resolutionen widerspricht, dann zeigt das, dass etwas nicht richtig läuft: Hier gibt man etwas, das man nicht besitzt. Jerusalem ist eine heilige Stadt für alle drei Religionen, und das ist deshalb ein sensibles Problem. In den UN-Resolutionen heißt es, dass der Status von Jerusalem so bleibt wie er ist, bis es eine endgültige Zwei-Staaten-Lösung gibt.

André Freud: Als ich davon gehört habe, habe ich mich gleich bemüht, mir die Rede im Original anzuschauen. Was ich da gefunden habe, war ein bisschen anders als das, was zumeist berichtet wurde. Trump hat zwar in der Tat die Verlegung der amerikanischen Botschaft nach Jerusalem angekündigt, aber erstens mit einem gewissen zeitlichen Verzug, so dass wir von einigen Jahren reden; und zweitens hat Trump klargestellt, dass er vom Westteil von Jerusalem spricht und nicht von ganz Jerusalem. Für mich ist das auch ein Indiz, dass Trump die Rede wohl nicht selbst geschrieben hat, sondern schreiben hat lassen. Er hat deshalb meiner Meinung nach in seiner Rede nur den seit 1967 bestehenden Status Quo anerkannt. Staatsbesuche des US-Präsidenten oder der Bundeskanzlerin finden in Jerusalem statt.

Wenn sie in der Knesset, dem israelischen Parlament, sprechen, dann in Jerusalem, weil da ist sie nun mal. In diesem Zusammenhang fiel mir ein Zitat aus einer wunderbaren amerikanischen Fernsehserie, aus "The Sopranos", ein, wo der Mafiaboss Soprano sagt: "Auch eine kaputte Uhr zeigt zweimal am Tag die richtige Zeit an." Ob Trump das in dieser Lage hätte machen müssen – Leute aufregen, sie in eine nicht immer zielgerichtete Empörung stoßen – , stelle ich in Frage. Warum aber die Reaktion auf Trumps Rede im Verbrennen israelischer Flaggen besteht und nicht in Kritik an Trump selbst, ist mir unklar. Die Juden sind im Übrigen seit 4000 Jahren der Meinung, dass Jerusalem ihre Hauptstadt ist.

Israel, Palästina und die Folgen der Trump-Rede

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Charles A. Landsmann, Mitarbeiter der NZ in Israel, hat Trumps Rede analysiert und ebenfalls herausgestellt, dass er im Zusammenhang mit der Verlegung der Botschaft die im Westteil der Stadt angesiedelten staatlichen Institutionen genannt hat, und den im Ostteil der Stadt gelegenen Tempelberg nicht auf Englisch, sondern auf Arabisch benannt hat, woraus man schließen kann, dass er damit den Anspruch der Muslime auf ihren heiligen Ort und damit den Ostteil der Stadt anerkannt hat. Was halten Sie von dieser Interpretation?

Eljojo: Damit hätten wir kein Problem. Ich bin kein Politiker und auch kein politischer Analyst, aber wenn Trump das so gemeint haben sollte, dann wäre das für die Palästinenser in Ordnung. Ich glaube nur nicht, dass er es so gemeint hat. Nicht nur bei mir, sondern auf der ganzen Welt kam es so rüber, dass er von ganz Jerusalem sprach.

Freud: Bei mir ist es schon so angekommen, dass er einmal den Westteil Jerusalems gemeint hat und einmal den Ostteil. Wie man lesen konnte, entspricht es ja wohl Trumps Herangehensweise, verkrustete Strukturen so aufzubrechen, dass er den Status Quo einfach infrage stellt. Wenn man an eine Zwei-Staaten-Lösung denkt, und ich glaube, es ist gut, daran zu denken, dann müsste aus jüdischer Sicht als allererstes auf der anderen Seite der Vernichtungswille gegenüber dem jüdischen Staat aufgegeben werden. Aber wenn das kommt, dann kann meiner Meinung nach alles andere schnell kommen.

Die Gründung eines Staates Palästina setzt völkerrechtlich drei Dinge voraus: Staatsvolk, Staatsgebiet, Staatsgewalt. An der Staatsgewalt hapert es am meisten, und die wird nicht ernsthaft zustande kommen, solange es nicht eine Anerkenntnis des Staates Israel gibt. Wenn das aber einmal geschieht, dann wüsste ich nicht, warum die Palästinenser nicht Ost-Jerusalem als Hauptstadt haben sollten. Ich persönlich kann mir auch vorstellen, dass die Klagemauer auf israelischer Seite ist und einen Meter danach die palästinensische Seite beginnt. Die anderen Probleme, etwa der Austausch von Land oder mögliche Entschädigungen, sind lösbar.

Hat Trumps Rede das Potenzial, eine neue Runde der Diplomatie hinsichtlich eines Zwei-Staaten-Modells zu eröffnen?

Eljojo: Wenn in der Rede noch ein Vorschlag enthalten wäre, wie man weitermachen könnte, dann wäre das vielleicht möglich gewesen. So aber hängt das in der Luft. Aber das ist ein komplexes Problem. Was in den letzten Jahrzehnten viel zunichte gemacht hat, ist die Siedlungspolitik. Das Land ist dadurch sehr zerstückelt. Das macht die Bildung eines Staatsgebietes schwierig. Ab und zu gibt es ja in der Politik solche "Schock-Ereignisse", die zu Neuem führen können. Aber ob die Rede das Potenzial dazu hat, kann ich nicht beurteilen.

Die Diplomatie scheint ja in Gang zu kommen. Der russische Außenminister hat den Chef der palästinensischen Autonomiebehörde getroffen, der jordanische König war beim Papst – kann man daraus schließen, dass man von außen versucht, Israelis und Palästinenser wieder an einen Tisch zu bringen?

Freud: Das ist möglich. Der Friedensprozess dauert seit der Staatsgründung Israels an, er hat eine Geschwindigkeit, die eine Schnecke belächeln würde. Er wird so genannt, aber das ist faktisch kein Friedensprozess. Ob die Rede Trumps die Verkrustungen aufbrechen kann, können wir heute noch nicht beurteilen. Die Diskussion, die dadurch angestoßen worden ist, hat aber meiner Meinung nach auch in der arabischen Welt erstaunliche Ergebnisse gebracht. Denn wenn die Türkei nun sagt, sie prüft die Eröffnung ihrer Botschaft für die Palästinensergebiete in Ost-Jerusalem, kann man das anders interpretieren, als die Anerkennung von Israel? Man kann das eine nicht tun, ohne auch das andere zu machen.

Israel, Palästina und die Folgen der Trump-Rede

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Wie könnte ein funktionierender Modus Vivendi für Jerusalem, Israel und Palästina aussehen? Muss man Muslime, Juden und Christen voneinander trennen?

Eljojo: Es ist sehr komplex. Die Menschen haben doch keine andere Wahl, als miteinander zu leben. Wenn man nicht miteinander lebt, befindet man sich in einem Konflikt – dann leiden alle Seiten. Ich komme aus dem Gaza-Streifen, bin also ein Flüchtlingskind, und seit ich in Deutschland bin, nämlich 30 Jahre, konnte ich nur siebenmal meine Heimatstadt besuchen. Ich habe unter der militärischen Besatzungsmacht gelebt. Ich habe aber auch erlebt, wie Israelis im Gaza-Streifen ihre Autos reparieren haben lassen, weil es dort besser und günstiger funktionierte. In der Westbank leben etwa 400.000 jüdische Siedler, oft hinter Mauern. Irgendwann müssen die Politiker und Menschen einsehen, dass das Leiden sich fortsetzt, solange der Konflikt nicht gelöst ist. Man muss den Mut haben, miteinander zu leben.

Man braucht Mut, sagt Herr Eljojo. Was noch, Herr Freud?

Freud: Den klaren politischen Willen. Ich bin auch der Meinung, dass ein ganz großes Problem der Palästinenser, um deren Position und Situation ich sie nicht beneide, ihre eigene politische Führung ist. Wir wissen alle, welches Ausmaß an persönlicher Bereicherung und Korruption dort herrscht. Die Welt gibt viel Geld nach Palästina, wovon auch solche profitieren, die Anschläge begehen. Das ist schon ein Treppenwitz. Eine Veränderung der gegenwärtigen Situation wäre aber für die palästinensische Führungsschicht nicht von Vorteil, sie hätte nichts zu gewinnen, nur zu verlieren - an Macht, politischem Einfluss, Einkommen und Vermögen.

Ein junger Palästinenser, der etwas kann und etwas werden will, kann innerhalb des Systems der palästinensischen Autonomiebehörde nur etwas werden, wenn er in eine der nicht zum Wohl der Bevölkerung agierenden Führungscliquen hineinwächst und dann am System selber teilnimmt. Oder nach Israel geht, um sich dort ausbilden zu lassen. Mit dem Zusammenleben ist es so eine Sache. Viele Einwohner Israels kommen heute aus Osteuropa.

Ich glaube, dass die Gleichgültigkeit gegenüber der anderen Gruppe weniger mit der Religion zu tun hat, als mit dem kulturellen Hintergrund. Im Alltag ist das Aneinandervorbeigehen unkompliziert, aber man geht nicht zum anderen hin. Bei den Muslimen, mit denen ich ins Gespräch komme, habe ich den Eindruck, dass die meisten eigentlich ganz gerne im Staat Israel leben. Weil der Staat als Staat funktioniert. Warum soll denn nicht, wo heute israelische Siedler leben, künftig der Staat Palästina sein? Das wäre aus meiner Sicht kein Problem.

Würden das die jüdischen Siedler überhaupt wollen?

Eljojo: Ich sage, Nein.

Freud: Die Siedlungsbewegung ist keine einheitliche. Die Nationalisten würden das sicher nicht wollen, ganz klar. Bei den religiös Motivierten sehe ich nicht, warum sie das ablehnen sollten.

Wer hat auf der jeweiligen Seite derzeit die Oberhand – die Hardliner oder die, mit denen man reden kann?

Eljojo: Wenn ich die Regierung Netanjahu sehe, dann wohl die Hardliner. Mahmud Abbas (Chef der palästinensischen Autonomiebehörde, Anm.d.Red.) ist der Einzige, der auf Frieden gesetzt hat. Man hat mit Jassir Arafat etwas verpasst. Wenn man auch Abbas keine Chance gibt, seinem Volk etwas zu geben, dann wird es schwer.

Freud: Mit Arafat hat man gar nichts verpasst. Er hat fertige Verträge nicht unterschrieben. Abbas fehlt mittlerweile ja jede politische Legitimation, seine Wahl ist schon lange her. Außerdem ist sein Handlungsspielraum durch verschiedene Gruppen stark begrenzt. Sobald er einen Schritt auf Israel zugeht, wird eine der Gruppen sagen, das darfst du nicht tun. In der israelischen Gesellschaft wiederum gibt es heute eine Zuspitzung, die dazu geführt hat, dass die stark religiös geprägte Schicht einen überproportional starken Einfluss auf die Politik hat.

Bei der Staatsgründung waren das ein paar tausend Leute, die ein paar Privilegien bekommen haben, etwa, nicht arbeiten zu müssen oder keinen Wehrdienst leisten zu müssen. Aus dieser kleinen Gruppe ist heute eine große geworden. Es gibt Bestrebungen, und ich würde das ausdrücklich begrüßen, den Einfluss dieser Gruppierung zurückzudrängen.

Israel, Palästina und die Folgen der Trump-Rede

© Ralf Rödel

Wenn es eine Art Türöffner für einen neuen Friedensprozess bräuchte, muss der von außen kommen, und sei es von Trump?

Eljojo: Das geht nur von außen.

Freud: Ja, nur von außen.

Eljojo: Man muss aber von innen überzeugt sein, sonst hilft das auch nicht. Wir brauchen die Macht der Gerechtigkeit und des Rechts, und nicht die Macht des Stärkeren. Doch momentan herrscht die Macht des Stärkeren. Nirgendwo auf der Welt gibt es eine militärische Besatzungsmacht, außer in den 1967 besetzten palästinensischen Gebieten. Das muss man einfach feststellen.

Freud: Das Prinzip "Land gegen Frieden" hat nicht funktioniert.

Was dann?

Freud: Ich glaube, dass der Friedensprozess mit Druck von außen verordnet werden muss, dass zum Beispiel die USA, Russland und China daran mitwirken. Das Angebot muss enthalten, dass die Palästinenser eine ernsthafte Chance bekommen, ihren Staat zu erhalten. An allererster Stelle muss jedoch die Anerkennung Israels als jüdischer Staat stehen. Da führt nichts darum herum.

Trump hat im Wahlkampf starke Unterstützung aus der jüdischen Gemeinde in den USA erhalten. War seine Rede eine Art Zugeständnis dafür?

Freud: Nein, denn Hillary Clinton hat mindestens genauso viel Unterstützung erhalten. Die jüdischen Wähler in Deutschland sind überwiegend konservativ, die jüdischen Wähler in den USA überwiegend demokratisch gesinnt. Politisch sehe ich eine pro-israelische Haltung bei Trump noch nicht umgesetzt. Eher wird Trump von den Evangelikalen unterstützt.

War in Ihren Gemeinden die Rede von Trump ein größeres Thema?

Eljojo: Wir sind eine internationale Gemeinde, in der die Religion im Vordergrund steht, nicht die politische Thematik des Nahen Ostens. Unser Imam hat aber natürlich dazu Stellung bezogen und gesagt, dass die Jerusalem-Entscheidung "bei uns ein Gefühl von Wut auslöst und unser Herz leiden lässt, da somit eine Nahost-Friedenlösung nicht mehr realistisch zu sein scheint. Nichtsdestotrotz sollten wir auf diese schwierige Situation besonnen und vernünftig reagieren. Natürlich ist das Demonstrationsrecht ein Grundrecht in Deutschland und ein wichtiger Teil der Meinungsfreiheit. Wer bei solchen Kundgebungen seine Wut durch Hass gegenüber anderen Religionsgemeinschaften, wie hier zum Beispiel Juden, ausdrückt, ist zu verurteilen.

Freud: Die antisemitischen Ausschreitungen in Deutschland machen uns natürlich Sorgen. Wir kannten den Antisemitismus von der rechtsextremen und der linksextremen Seite. Dass es jetzt verstärkt einen muslimisch-arabischen Antisemitismus gibt, hat viel mit den Menschen zu tun, die zu uns gekommen sind. Denen braucht man das persönlich nicht übelnehmen, denn die sind damit aufgewachsen, die haben nie was anderes gehört. Aber wenn sie in Deutschland leben wollen, gehört dazu, dass sie zumindest offen dafür sind, dass das bei uns nicht geht. Da muss ein Umlernprozess stattfinden.

Eljojo: Ja, das stimmt.

Freud: Es ist schön, dass in der IGN so gepredigt wird. Aber es ist problematisch, dass die Moscheen untereinander keine Struktur haben, dass es keinen wirklichen Ansprechpartner gibt.

Wie ist es um den Dialog zwischen der Islamischen Gemeinde in Nürnberg mit der Israelitischen Kultusgemeinde bestellt?

Freud: Es gibt Entwicklungen, die schön sind. Wir sitzen miteinander im Rat der Religionen, tauschen uns aus und besuchen uns gegenseitig. Man redet in Respekt miteinander, und das ist wichtig.

Die Gesprächspartner:

André Freud, 52 Jahre alt, ist Nachkomme von Überlebenden der Schoah, die nach der Befreiung in Nürnberg eine neue Heimat fanden. Hauptberuflich ist er Geschäftsführer der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg, im Ehrenamt Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Nürnberg-Mittelfranken, Mitglied im Bezirksvorstand der CSU Nürnberg-Fürth-Schwabach und Vorstandsmitglied der Bürgerbewegung für Menschenwürde in Mittelfranken.

Mostafa Eljojo ist 49 Jahre alt. Seine Familie stammt aus Jaffa, wurde aber nach der Einnahme durch israelische Truppen 1948 vertrieben. Geboren ist Eljojo im Gaza-Streifen. 1987 kam er als Student der Elektrotechnik nach Deutschland, seit 1998 lebt er in Nürnberg. Von Beruf ist er Entwicklungsingenieur. Im Ehrenamt leitet er die Islamische Gemeinde Nürnberg (IGN).

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