Aufwühlend: Pflege-"Tatort" trifft schmerzhaft einen Nerv

11.3.2018, 21:45 Uhr
Es geht viel um Überforderung im neuen "Tatort" aus Bremen.

© Radio Bremen/Christine Schröder Es geht viel um Überforderung im neuen "Tatort" aus Bremen.

Schon bald gehört das Bremer Ermittler-Duo Inga Lürsen und Stedefreund der Geschichte an. Im kommenden Jahr geben Sabine Postel und ihr Kollege Oliver Mommsen ihre Dienstmarken ab. Keinesfalls auf Druck des Senders. Die Kommissare gehen aus völlig freien Stücken. Schließlich erzielt ihr "Tatort" stets gute Quoten und heimst oft großes Lob ein, weil er regelmäßig auf einem hohen Niveau sozialkritische Themen aufgreift sowie gesellschaftliche und politische Missstände behandelt.

Den Finger in die Wunde legt das Bremer "Tatort"-Team auch diesmal. Und das, ohne zu kopflastig zu erscheinen. Mit dem Film "Im toten Winkel" nähert man sich auf eine zutiefst aufrichtige Art und Weise dem brisanten Thema Pflege. Einem Thema, das uns alle irgendwann betrifft, aber "das nicht unbedingt nach einem 'Tatort' schreit", gesteht Autorin Kathrin Bühlig. Klar, schließlich "braucht man beim 'Tatort' nun mal einen Toten".

Der Tote in ihrem Buch ist ein pflegebedürftiger Mensch und so bildet die Geschichte des Rentners Horst Claasen, der seine demenzkranke Frau aus Verzweiflung tötet, da er mit der Situation überfordert ist und sich die hohen Pflegekosten nicht mehr leisten kann, den Rahmen dieses ungewöhnlichen Krimis.

Schmerzvolle Szenen

Dabei mutet der Regisseur dem Zuschauer schmerzvolle Szenen zu. Nüchterne Bilder zeigen, wie der Mann schließlich ins Schlafzimmer geht, zum Kissen greift und es solange auf das schlafende Gesicht seiner Frau drückt, bis die sich nicht mehr rührt. Anschließend ruft er die Polizei. Als er in einem ruhigen Ton darum bittet, rasch mit zwei Särgen vorbeizukommen, da er sich nun selbst das Leben nehmen werde, zielt ihm die Kamera direkt ins Gesicht.

Weil der Polizist am anderen Ende der Leitung zu viele Fragen stellt, kleidet der alte Claasen seine Forderung in deutlichere Worte. "Ich will doch nur, dass sie uns abholen. Wir wollen den Nachbarn keinen Ärger machen. Tote riechen doch!" Da Koch nicht nur in dieser erdrückenden Eröffnungssequenz auf die Beigabe von Musik verzichtet, wirken große Teile der Produktion wie eine Dokumentation und Sätze wie die des Rentners bleiben noch besser im Gedächtnis haften.

Nun müssen die Kommissare – ob sie es nun wollen oder nicht – auch dieser Angelegenheit nachgehen. Während der eher rational veranlagte Stedefreund um Neutralität bemüht ist, entwickelt Lürsen großes Mitgefühl für den alten Mann, der nach dem missglückten Selbstmordversuch im Krankenhaus liegt. Claasen gesteht, er habe seine Frau und sich nur töten wollen, weil "wir uns das Leben nicht mehr leisten konnten". Ein Satz, der so schmerzt, wie ein Fausthieb frontal ins Gesicht.

Menschen am Limit

Im Laufe der Fahndungsarbeiten tauchen die beiden Ermittler jetzt immer tiefer in die Thematik ein. Sie bekommen es mit Pflegediensten zu tun. Und mit Leuten wie Clemens Kühne vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen, der entscheidet, wer wann in welche Pflegestufe eingeteilt wird. Dass er somit über Schicksale urteilt, ist dem Mann nicht immer bewusst.

Außerdem lernen die Fahnder Betroffene kennen, die in einem toten Winkel der Gesellschaft leben. Menschen, die bis an die eigene Belastungsgrenze gehen, in dem sie sich zu Hause um ihre Angehörigen kümmern. So wie Oliver Lessmann, der seine verunglückte Frau daheim pflegt, und Akke Jansen, die seit vier Jahren zusehen muss, wie die Alzheimerkrankheit ihre Mutter zerfrisst. "Wann stirbst Du endlich, Mama?", schreit die Tochter aus Verzweiflung heraus. Wieder so ein Satz, der unheimlich weh tut.

Bei dieser Thematik ist es natürlich klar, dass man es hier mit keinem herkömmlichen Thriller zu tun bekommt. Spannung, wie man sie aus anderen Krimis kennt, findet in Kochs Film wenn dann nur auf einer hintergründigen Ebene statt. Lürsen und Stedefreund agieren zurückhaltend, machen sich aber schon so ihre Gedanken. Vor allem rückt dieser "Tatort" jedoch die Menschen in den Fokus, die jeden Tag aufs Neue bis ans Limit gehen. Seien es nun die Angehörigen oder die professionellen Alten- und Krankenpfleger.

"Im toten Winkel" ist daher ein astreiner Themen-"Tatort", der aber ohne erhobenen Zeigefinger Missstände im Bereich der Pflege aufdeckt. Er macht klar, ohne irgendeine daran beteiligte Partei anzuklagen, dass der Staat endlich einschreiten muss, damit in Deutschland alle die gleiche Chance erhalten, in Würde und mit Respekt zu altern. Erst dann werden Sätze, wie die aus dem Mund von Horst Claasen, für immer der Vergangenheit angehören. So wie schon bald dieses sehr empathische Bremer Ermittler-Duo.

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