Bayerns faszinierende Glocken-Landschaft

1.6.2015, 12:10 Uhr
Bayerns faszinierende Glocken-Landschaft

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Vielschichtig, rasant, jubelnd. Verschiedene Rhythmen, unterschiedliche Töne. Immer neue kommen hinzu, setzen ein, komponieren ein Tongebilde von erheblicher Feierlichkeit. Schließlich ein wundervoller, silbrig donnernder Gesamtklang. Von oben, aus den beiden Türmen der Westfassade. Überirdisch. Wie ein Lobpreis der Ewigkeit. Das ist das elfstimmige Hauptgeläut der Nürnberger Lorenzkirche. Und nur ein Beispiel unter vielen. Bayern ist ein „Glockenland“, so die zentrale These von Georg Impler, Redakteur der Sendung „Zwölfuhrleuten“ auf Bayern 1. Er verhandelt detailreich wesentliche Fragen rund um Geschichte, Bedeutung und Herstellung von Kirchenglocken und berichtet dann über Prachtklangkörper von der Stiftspfarrkirche in Altötting bis zum Würzburger Kiliansdom.

Impler ist ein Kenner der Campanologie, wie man die Glockenkunde nennt. Er beschreibt, wie Glocken Töne eingehaucht werden können und wie früh diese Kunst beherrschbar war. So ist die so genannte Rippe, ein „Zauberwerkzeug der Klangpräzision“ – eigentlich nur ein ausgeschnittenes Holzbrett mit dem halben Querschnitt der Glocke – jene „geniale Innovation des 14. Jahrhunderts“, mit der As und Fis und G entstehen.

Wie hoch oder tief eine Glocke klingt, bestimmt vor allem der Schlagringumfang. Wandstärke, Rippenform und Höhe sind entscheidend für Klangfarbe, Reintönigkeit und Nachklang. Dabei ist, wie Impler schreibt, „das Tonspektrum einer Glocke so komplex, dass bis zu 50 messbare Teiltöne erklingen“.

Man ist bei der Lektüre des Buchs schnell berührt und vom Thema fasziniert. Denn es entsteht ein beeindruckendes Bild von der optischen und akustischen Harmonie der großen Geläute. Auch die Herstellung wird en detail beschrieben – und die ist so kompliziert, dass der Autor seine Leser zwischendurch besorgt fragt: „Kann man folgen?“

Kann man. Und wer's poetischer haben will, den verweist Impler auf Friedrich Schiller. Poetisch sind oft auch die Namen der Glocken, so etwa die Erfurter Gloriosa, die Münchner Susanna, die Nürnberger Laurentia. Es gibt Prachtstücke wie die von Lorenz Kraus 1767 in München geschaffene 6,5 Tonnen schwere Landshuter Propstglocke, die eine Darstellung des Gekreuzigten in vollplastischer Figur zeigt. Und es gibt die kleinen, vielsagenden Totenglöckchen.

Viel müssen sie aushalten, die Glocken. Die Bearbeitung mit Klöppeln, Temperaturunterschiede von rund 70 Grad. Die tosenden Torsionskräfte in den Kirchtürmen sind so stark, dass die Glocken in speziellen Holzkonstruktionen angebracht sind, die die Schwingungen aufnehmen, damit sie nicht direkt auf das Mauerwerk einwirken. Wer aber je während eines Geläuts in einem Turm gestanden ist, wird die Wucht dieser brachialen Bronzeumtriebe nie mehr vergessen.

Bedroht waren die Glocken immer wieder. Denn oft hat man sie in Kriegszeiten heruntergeholt und zu Kanonen umgegossen. Impler: „Die Weltkriege haben die Klangsilhouette Europas verändert wie nichts davor.“ Aber was heute noch da oder wiederhergestellt ist, ist immer noch beeindruckend genug.

Georg Impler: Glockenland. Verlag Pustet, Regensburg, 232 Seiten, mit zahlreichen Abb. und Audio-CD, 39,95 Euro.

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