Beflügelnde Begegnung mit dem Meister

3.5.2016, 13:10 Uhr
Beflügelnde Begegnung mit dem Meister

© Foto: Jesús Vallinas

"Kammertanz" - der Titel hätte auch auf einen ganz intimen Ballettabend verweisen können. Doch dann erlebt das Publikum im ausverkauften Opernhaus gleich zweifach Tanzkunst von atemberaubender Rasanz. Und mittendrin Großmeister Forsythe, um den herum Montero den dreiteiligen, auf die gemeinsamen Wurzeln im klassischen Ballett fokussierten Abend gesponnen hat.

Es wirkt, als hätte der Blick zurück auf die Ursprünge Montero noch einmal ganz neu beflügelt. Elegant und sinnlich, hochdynamisch und spannungsvoll erweist sich seine zum Auftakt gezeigte Kreation "Four Quartets" als faszinierendes Gesamtkunstwerk aus Tanz, Musik und kongenialem Bühnenbild, das auch als flexibles Podest für das live musizierende Apollon Musagète Quartett dient.

Inspiriert ist das Stück von T.S. Eliots Gedicht "Burnt Norton", eine Meditation über die Zeit – vom greisen Dichter selbst in Auszügen vom Band zu hören –, die Montero mit drei Tänzerinnen und drei Tänzern zu einem kraftvollen Aufbäumen gegen die Endlichkeit verdichtet. Fließend überführt er das klassische Bewegungsrepertoire in eine ganz heutige Tanzsprache – beginnend mit einem ungemein flinken, geschmeidigen Solo von Sayaka Kado bis hin zur abstrakten Zeichensprache von Armen und Beinen.

Trotz des hohen Tempos wirkt "Four Quartets", entscheidend befördert durch die Musik von Brahms’ Streichsextett B-Dur und Schuberts rätselreichem Streichquintett C-Dur, eher wie eine Elegie, die große emotionale Tiefe entwickelt. Sich haltend, tragend, umschlingend versuchen die Tänzer sich gegenseitig vor dem unausweichlichen Tod zu bewahren. Das mit Gummibändern bespannte hohe Podest wird dabei zum Sinnbild des Verschwindens. So sehr sie sich auch wehren, immer wieder zieht es die Tänzer hinein, und wenn sie dann im erleuchteten Rund eines der Podeste gefangen sind, scheinen sie zu schweben, hangeln sich an den Bändern empor und führen ihre Gliedmaßen ein beunruhigendes Eigenleben.

Hochtouriger Totentanz-Reigen

Verlangt schon Montero von seinem Ensemble ein Höchstmaß an Flexibilität und Kondition, setzt Christian Spuck in „das siebte blau“ aus dem Jahr 2000 noch eins drauf. Zu Schuberts herzergreifendem Streichquartett "Der Tod und das Mädchen“ und Melodien von György Kurtág und Dieter Fenchel – erneut live im Einsatz: das Apollon Musagète Quartett – hat er ein hochtouriges Ballett geschaffen, das Tanz und Musik, wie bei Montero, aufs Engste verzahnt.

Mit sieben Tänzern und sieben Tänzerinnen, von denen eine (erneut die großartige Sayaka Kado) das Mädchen repräsentiert, erlebt man einen Totentanz-Reigen voller Anmut, Poesie und leidenschaftlicher, fast freudiger Hingabe in schnell wechselnden Formationen, so dass der Tod all seinen Schrecken verliert. Und bei aller Schönheit und Innigkeit lässt Spuck Raum für witzige Momente – wenn die Frauen im Boden versinken und nur die Waden sichtbar bleiben, oder wenn es einen lauten Aufschrei gibt, sobald einer aus der Reihe tanzt.

Es fällt im Mittelteil dem für das zeitgenössische Ballett wegweisenden William Forsythe zu, den Tänzern eine Atempause zu vergönnen. Denkt man zumindest zu Beginn von "Approximate Sonata", uraufgeführt 1996, wenn ein Tänzer die knarrenden Töne aus dem Off mimisch nachahmt und sich nur auf Anweisung einer Stimme zögernd bewegt. Dann setzt die minimalistische Klaviermusik von Thom Willems ein – live, aber hinter der Bühne verborgen, gespielt von Claudio Frasseto.

Was nun folgt, ist eine permanente Konstruktion und Dekonstruktion des klassischen Repertoires in technisch virtuosen Pas de deux. Fast scheinen die Körper im Wettstreit miteinander über sich hinauswachsen zu wollen, mit weit ausgreifenden Armen und Beinen, die blitzschnell knicken. Jede Berührung setzt neue Impulse, aus jedem Umschlingen der Körper entsteht eine neue, abstrakte Figur.

Forsythes Stück schafft eine hochkonzentrierte Atmosphäre und entwirft doch eine Probensituation, was auch in den sportiven Kostümen sichtbar wird. Da schwingt, inklusive des in eine Folie geschnittenen Wortes "JA" – Bejahung der körperlichen Strapazen, denen sich jeder Tänzer unterwirft? –, auch Ironie mit.

Einen Abend, der, dem Geist der Kammermusik folgend, Unmittelbarkeit, Makellosigkeit und exquisite Harmonie verbindet, wollte Montero mit "Kammertanz“ auf die Bühne bringen. Es ist ihm noch viel mehr gelungen. Ein ganz großer Wurf, der mit begeistertem Applaus belohnt wurde.

Nächste Aufführungen: 10., 12., 14. Mai, 6., 9., 10., 14., 18. Juni; Ticket-Hotline: 0 18 05/ 23 16 00.

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