Beim Nazi daheim

26.9.2016, 12:25 Uhr
Beim Nazi daheim

© Foto: Jochen Quast

„Es ist tatsächlich so, dass sich ein Teil von mir wünscht, die Anzahl der im Holocaust ermordeten Juden sei so hoch wie möglich: Denn je mehr Juden gestorben sind, desto weiter entfernt bin ich von den Ansichten eines Nazis, der glaubt, niemand hat je versucht, Juden zu töten.“ Jetzt ist ein Moment erreicht, an dem die Zuschauer im kleinen Erlanger „Theater in der Garage“ wirklich ein ungutes Gefühl im Bauch bekommen. Ein Experiment hat die Schmerzgrenze erreicht. Ein Theaterstück richtet schonungslos den Blick genau auf einen selbst und den Umgang mit den eigenen Überzeugungen.

Es ist schon einige Jahre her, da hat sich der Brite Chris Thorpe aufgemacht, zu erforschen wie wir denken und vor allem, wie sehr unsere Meinungen und Überzeugungen vorgefertigt sind. Es geht um ein Phänomen, das in der Psychologie als „Bestätigungsfehler“ bezeichnet wird. Also auch darum, Informationen so zu interpretieren, dass sie in unser Weltbild passen. Darum, sich Dialogpartner zu suchen, die dieses nicht ins Wanken bringen. Der Bestätigungsfehler „lässt uns glauben, dass wir die Dinge von allen Seiten betrachten, und dass wir recht haben, selbst wenn das nicht stimmt. Und er treibt uns und die Menschen, mit denen wir nicht einer Meinung sind, weiter auseinander.“

Thorpe wollte für einige Augenblicke diese Kluft schließen. Er hatte sich deshalb für einen Selbstversuch entschieden und sich für viele Gespräche mit einem Neonazi getroffen, der weit entfernt vom „Glatzen“-Klischee ist. Ein Mann, der um seine verstorbene Frau trauert, im Bungalow zu Hause ist, sich für die örtliche Feuerwehrwache engagiert, lokale Geschäfte unterstützt und darauf achtet, für seine Gäste den Tee richtig aufzubrühen. Daraus entstand eine Performance, die vor allem von der Authentizität lebt. Umso schwieriger, dieses Experiment nun als Zweipersonenstück zu interpretieren.

Regisseur Paul Wieandt geht in Erlangen bei der deutschen Erstaufführung der Bühnenversion von „Bestätigung“ auf Nummer sicher. Verstörende Momente sind selten. Stattdessen haben wir es mit einem von Violetta Zupancic und Mario Neumann bestens in Szene gesetzten Lehrstück zu tun. Das „Böse“ wird durch düstere Sounds, Betonungen der Schauspieler und Lichteffekte von Anfang an sichtbar gemacht. Vieles wird erklärt, das Publikum wird mit eingebunden, an die Hand genommen und durch den Abend geführt. Na klar, manche „Meinungen“ sind eben einfach dumm und gefährlich.

Eine Herausforderung fürs Publikum, gar eine Provokation, sieht aber anders aus. Am Ende wissen wir dann wieder einmal, dass wir, die aufgeklärten Kulturfreunde, längst nicht so offen sind wie wir immer glauben — können aber sicher sein, dass die „Selbstbestätigung“ auch ein guter, manchmal notwendiger Schutzmechanismus ist.

Weitere Vorstellungen: 30. September, 1.,12., 13. Oktober sowie 10. und 11. November.

www.theater-erlangen.de

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