Berlin-"Tatort": Leidenschaft, die Leiden schafft

5.6.2017, 21:45 Uhr
Berlin-

© rbb/Arnim Thomaß

Der Countdown läuft. Mit "Amour Fou" zeigt Das Erste die drittletzte Erstaufführung vor der Sommerpause. Sie startet mit der Wiederholung von "Der Himmel ist ein Platz auf Erden" - dem ersten Franken-"Tatort"- am 25. Juni. Wie schon der vergangene Fall aus München, so beschäftigt sich auch Vanessa Jopps ansprechend in Szene gesetzter Krimi mit den Irrungen und Wirrungen menschlicher Liebe.

Doch anders als in "Die Liebe, ein seltsames Spiel", in dem es um einen Architekten ging, dem seine Vielweiberei zum Verhängnis wurde, beleuchtet "Amour Fou" die Ehe eines schwulen Hipster-Pärchens, das in einer noblen Altbauwohnung mit deckenhohen Wandregalen voller Schallplatten und Büchern residiert. Enno Schopper und Armin Berlow (Jens Harzer) führen ein Dasein auf der Sonnenseite des Lebens. Enno ist Lehrer. Armin würde man gemeinhin als Privatier bezeichnen. Er hat geerbt und muss nie mehr einen Finger krumm machen.

Tränen, Blut und Homophobie

Alles schön und gut. Wäre da nicht die offen gelebte Sexualität des Paares dem ein oder anderen ein Dorn im Auge. Aus allen Richtungen schlägt den Eheleuten Hass und Gewalt entgegen. Erst brennt das Auto. Dann der Lehrer selbst. Nachbarn entdecken die verkohlten Überreste von Enno Schopper in dessen Laubengarten. Karow (Mark Waschke) und Rubin (Meret Becker) finden heraus, dass der Mann zuerst erschlagen und anschließend verbrannt wurde. Außerdem hat man Schopper gerade erst vom Dienst beurlaubt. Ein Zeuge behauptet, gesehen zu haben, wie sich Enno dem Schüler Duran (Justus Johanssen) im Umkleideraum sexuell genähert hat. Die Beteiligten dementieren das Gerücht zwar. Doch der Schulleiter hält am Entschluss fest.

Nach und nach offenbart sich dem Zuschauer nun das ganze Ausmaß einer wahrhaftigen "Amour Fou" mit tragischem Ende, bei der nicht nur Tränen fließen, sondern auch ganz viel Blut die Adern verlässt. Christop Darnstädts Drehbuch, in das neben Homophobie auch Themen wie leichtfertige Missbrauchsverdächtigungen und die Nützlichkeit von Gerüchten subtil einfließen, nimmt allerdings nach gut einer Stunde eine überraschende Wendung, die so nicht unbedingt zu erwarten und schon gleich gar nicht vorherzusehen war.

Ende der horizontalen Erzählweise

Der fünfte Berliner "Tatort" ist der erste, in dem die horizontale Erzählweise keine tragende Rolle mehr spielt. Schließlich ist Karows Reputation repariert, der Mord an Ex-Kollege Maihack aufgeklärt. Beide Ermittler könnten sich also voll und ganz dem eigentlichen Fall widmen. Doch Nina Rubin hat nach wie vor allergrößte Schwierigkeiten, Polizeiarbeit und Privatleben unter einen Hut zu bringen. Gemeinsame Momente mit dem Ehemann finden oft nur beim abendlichen Zähneputzen statt. So scheint auch der x-te Neuanfangsversuch zum Scheitern verurteilt. Vor allem deshalb, weil Viktor (Alexander Tesla) vor hat, eine Stelle in Straubing anzutreten. Nina ist jedoch nicht bereit, die Großstadt, die sie zum Leben braucht, aufzugeben. Eine folgenschwere Entscheidung bahnt sich an.

Die Entscheidungen, die Cop Karow zu treffen hat, ziehen da weitaus weniger Konsequenzen nach sich. So steht er lediglich vor der Wahl, ob er als nächstes eine Frau – wie zu Beginn mit der Gerichtsmedizinerin geschehen – oder doch wieder einen Kerl zu sich ins Bett holt. Da Karow überdies nach wie vor ermittlungstaktische Alleingänge favorisiert und lieber schweigt, als ein kommunikatives Verhältnis zu seiner Kollegin aufzubauen, bleibt der Cop eine ambivalente, undurchsichtige Person, bei der völlig unklar ist, wohin sie sich in den weiteren Episoden entwickelt.

Im Gegensatz zum Kommissar ist Vanessa Jopps Produktion selbst ein sehr aufgeräumter Film mit einer durchdachten Handlung, die in viele stimmungsvolle Bilder aus Berlin und von Frankreichs nördlicher Atlantikküste gebettet ist.

Wegen der geringen Darstellerdichte bleibt den wenigen Akteuren viel Raum zur eigenen Entfaltung. Vor allem Jens Harzer sticht durch seine Fähigkeiten heraus. Der Theater-Profi hat schon als Murots Gegenspieler in "Es lebe der Tod" unglaubliches geleistet. Ähnlich stark agiert der gebürtige Wiesbadener auch diesmal. So bleibt unterm Strich die Erkenntnis, dass Berlin zwar keine Flughäfen bauen kann. Gute Krimis kriegen man dort aber schon gebacken.

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