Bestseller auf Bestellung

1.7.2015, 19:44 Uhr
Bestseller auf Bestellung

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Wer in letzter Zeit im ICE fuhr, hat vielleicht eine der 23 000 verteilten Leseproben erhalten. Auffällig sind aber auch in Städten die Werbeplakate für den Roman, teilweise auf Leuchtflächen gehängt. Der Münchner Blanvalet Verlag hat gleich 130 000 Exemplare an Buchhandlungen ausgeliefert. Die Londoner Autorin Paula Hawkins, Anfang 40, wird berühmt werden, in angelsächsischen Ländern ist sie es schon. Ihr Psycho-Thriller wurde in Großbritannien über eine Million Mal verkauft, in den USA mehr als zwei Millionen Mal. Ein „pitch“, ein einprägsamer Satz, bahnt Lesern den Weg: „Du kennst sie nicht, aber sie kennt dich.“

Hawkins, die erst als Journalistin arbeitete, sprach mit einem unfertigen Manuskript bei einer Literaturagentin vor. Die war vom Thema begeistert, ging aber mit der Autorin einen Kompromiss ein, um bei der Handlung mitreden zu können – und so wurde das Buch generalstabsmäßig zum Erfolg geführt. Erst wurde lanciert, es gäbe da einen ungewöhnlch tiefgründigen Roman.

Ein Lob von Stephen King

Daraufhin boten Verlage aus mehreren Ländern – bis in die Mongolei – um die Lizenzen mit, die US-Firma Dreamworks erwarb die Filmrechte und ausgewählte Blogger erhielten noch vor Veröffentlichung Textauszüge. Das Konzept ging auf: überbordende Neugier überall. Als dann auch noch Stephen King Löbliches über die Autorin schrieb, rauschten die Bestellungen herein. Paula Hawkins kommt mit dem Trubel bisher gut zurecht. Sie wird auf Lesereise in mehrere Länder gehen und viel Geld verdienen.

Das Thema des Thrillers passt in unsere Zeit, es geht um Überwachung. Keine digitale Schnüffelei eines Geheimdienstes, sondern einer von Obsessionen getriebenen Alkoholikerin in den Dreißigern. Rachel hat erst ihren Freund und dann ihren Job verloren. Sie wohnt bei einer Freundin zur Untermiete und steigt jeden Morgen pro forma in den Vorortzug nach London. Der fährt an dem Haus vorbei, in dem sie einst mit Tom lebte. Inzwischen hat er Anna geheiratet, es gibt eine kleine Tochter. Rachel ist rasend eifersüchtig.

Erzählt wird aus mehreren Perspektiven, neben der von Rachel auch aus der von Megan, der Babysitterin bei Tom und Annas Kind, aus Annas und aus der eines Fantasiepaars. Die Perspektiven verschränken sich, aber das beobachtete Reihenhaus-Glück, das so aufgeräumt erscheint, ist nur Kulisse. Dahinter spielen sich schrille Szenen ab, es geht um Lüge, Betrug, Affären und Langeweile.

Die Geschichte einer stillen Verzweiflung ist gut geschrieben, die selbstzerstörerische Erzählerin kommt den Lesern sehr nahe. Paula Hawkins hat erklärt, sie sei selbst jahrelang im Zug gependelt, da sei ihr die Geschichte zugefallen. Es geht um das Fassadenleben, den Druck dahinter, glücklich sein zu müssen, alles tun zu können, Partnerschaft und Job zusammenzubringen, Geld zu haben und ein zufriedenes Leben. Das aber gibt es in Zeiten des Überdrusses und der Lustlosigkeit immer weniger.

Dass Rachel diese Situation mit Thrill auf den Gleisen durchtränkt, das ist handwerklich geschickt gemacht. Jeden Morgen pendeln, schauen, was passiert, sich eine Welt imaginieren und in sie hineinsteigern. Die Story wirkt etwas künstlich, was aber den Bestsellererfolg nicht aufhalten wird.

Paula Hawkins: Girl On The Train. Blanvalet, München, 12,99 Euro.

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