Brüder im Geiste: Modicks "Konzert ohne Dichter"

9.2.2015, 13:08 Uhr
Brüder im Geiste: Modicks

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„Das Konzert oder Sommerabend auf dem Barkenhoff“, so der Titel eines um die Wende zum 20. Jahrhundert hoch geschätzten Gemäldes von Heinrich Vogeler, wird im Juni 1905 in Oldenburg mit der Goldenen Medaille für Kunst und Wissenschaft ausgezeichnet. Die Tage vor der Preisverleihung markieren einen Höhepunkt und gleichzeitig eine Krise in Leben und Werk seines Schöpfers.

Vogeler ist 33 Jahre alt, lebt mit Frau und zwei Töchtern inmitten von Freunden und Kollegen auf dem von ihm selbst als Künstlerwohnsitz entworfenen und bis ins kleinste Detail ausgestalteten „Barkenhoff“ in Worpswede. Er arbeitet erfolgreich als Grafiker, Zeichner, Designer, Architekt und Maler, und doch plagen ihn Freudlosigkeit und Überdruss. Vogeler findet das preisgekrönte Gemälde misslungen.

Die Komposition gruppiert sich um eine wenig gestaltete Fläche, auf der in einer früheren Version Rilke zwischen Clara Westhoff und Paula Becker sitzt. Rilke liebt beide Frauen und beide lieben ihn. Die Ménage-à-trois endet, als Paula 1901 Otto Modersohn heiratet. Clara und Rilke vermählen sich wenig später ebenfalls. Rilke beginnt mit seiner Monografie über Worpswede, doch dann verlässt er überraschend bereits 1902 die Künstlerkolonie, um nach Paris zu gehen.

Hoher Ton

Vogeler ist ernüchtert, er hat Rilke nach Worpswede gebracht, ihm den wichtigen Kontakt zum Insel-Verlag hergestellt und seine Gedichtbände illustriert. Oft reagiert Vogeler befremdet auf Rilkes hohen Ton. Vieles von dem, was Rilke sagt, erscheint ihm als unverständliches, mystifizierendes Geraune. Doch er spürt auch den unbedingten Ernst und die Leidenschaft seines Freundes für die Kunst. Bis zur „Selbstversklavung“ ordnet Rilke sein Leben der Dichtung unter, lebt für sie und durch sie, aber keineswegs von ihr, denn dafür braucht er Freunde, Geliebte und Mäzene. Ein Leben auf Kosten anderer also.

Modick gibt Rilke mönchische und gleichzeitig geckenhafte Züge: die hervortretenden großen Augen, die zarte Gestalt in auffälliger Kleidung, die melancholisch herabhängenden Schnurrbartspitzen. Ohne Humor oder Selbstironie, raunend und dichtend, verkündet der übersensible Rilke mystische Erkenntnisse.

„Haben Sie das gehört?“, fragt er Vogeler auf einem Spaziergang durchs Moor, „der Totenvogel. Aber haben Sie denn nicht gehört, wie sich das ganze Land und der Wind in diesen Schrei gelegt haben? Als ob der Vogel Dinge weiß, an denen man sterben muss. (. . .) Schauriges Land, Euer Teufelsmoor. Schön, aber auch der Anfang des Schrecklichen.“

Vogeler, der als Künstler durchaus auch ein Träumer und „Märchengläubiger“ ist, kann mit Rilkes „Spökenkiekereien“ nichts anfangen. Doch so wie sich Rilke selbst als dünnhäutigen und gedankenvollen Dichter inszeniert, der mit der Ewigkeit ringt, setzt auch Vogeler sich in Szene.

Verkleidet als biedermeierlicher Bohemien gestaltet er Haus und Garten, Handwerk und Kunst, Familie und Freunde als Gesamtkunstwerk. Wenige Jahre nach der ersten Begegnung kritisiert Rilke Vogelers Welt als eng und unproduktiv und bezeichnet seine Kunst als „dekorativen Tand“. Rilkes Kritik trifft Vogeler, spürte er doch selbst die Begrenzungen der künstlich geschaffenen Welt. Will man Modick folgen, lassen beide das wirkliche Leben an sich vorbeiziehen. Vogeler bleibt Beobachter in seiner ländlichen Idylle, Rilke flüchtet vor der Verantwortung für Familie und Freunde und sucht stets neue Lieben und neue Erfahrungen.

Nachdem Vogeler die Goldene Medaille in Empfang genommen hat, verlässt auch er Familie, Freunde und Worpswede und macht sich auf den Weg nach Ceylon. Wie Rilke ist er bereit, einen hohen Preis für seine Kreativität zu zahlen.

Mit seinem 18. Roman hat der Oldenburger Schriftsteller Klaus Modick (63) einen an Gedanken, Bildern und sinnlichen Eindrücken reichen Künstlerroman geschrieben. Fantastische Naturbeobachtungen mit einer unerschöpflichen Fülle an Bildern, genau charakterisierte Figuren, Witz und eine assoziative, fast spielerische Sprache machen aus diesem Werk einen Lesegenuss.

Klaus Modick: Konzert ohne Dichter. Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln. 229 Seiten, 17,99 Euro.

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