Das Ding der Woche: Karen Duve über die Jugendjahre einer Nervensäge

3.10.2018, 10:15 Uhr
Das Ding der Woche: Karen Duve über die Jugendjahre einer Nervensäge

© Horst Linke

Okay, ein bisschen Interesse für Literatur und das Leben vor 200 Jahren sollte man schon mitbringen, wenn man den neuen Roman der Hamburger Autorin ("Taxi", "Anständig essen") in die Hand nimmt.

Sie widmet sich einer "Nervensäge", wie es gleich zu Beginn heißt. Annette von Droste-Hülshoff (1797-1848) ist eine kleine, überaus dünne, kränkliche und extrem kurzsichtige Frau. Und sie ist eine Feministin – sie weiß es nur nicht, sie kann es zu Beginn des 19. Jahrhunderts natürlich auch noch gar nicht wissen, und sie verzeiht es sich selbst nicht. So gerne wäre sie wie all die anderen gesitteten Frauen ihres Standes. Zurückhaltend, fromm, ohne Fehl und Tadel.

Doch sie ist oft zu laut, hat eine große Klappe, mischt sich ungefragt in Männergespräche ein und erdreistet sich dann auch noch, eine Meinung zu haben — und Annette schreibt Lyrik. "Wie konnte sie sich nur so blamieren?", wird die Verwandtschaft, die der armen Unangepassten ohnehin oft übel mitspielt, sagen, als sie 1838 ihren ersten Gedichtband – anonym – veröffentlicht.

Karen Duve allerdings widmet sich den Jahren 1817 bis 1820, als es zur sogenannten "Jugendkatastrophe" der Droste-Hülshoff kommt, bei der der hässliche, aber herzensgute Heinrich Straube und der schöne, aber sich ziemlich mies benehmende August von Arnswaldt mehr oder weniger rühmliche Rollen spielen. Klingt nach Klischee, ist aber wirklich so passiert.

Karen Duve hat ein unheimlich (detail-)reiches Buch geschrieben, das einem die Zeit vor 200 Jahren – deren Parallelen zu der heutigen sie sicher ganz bewusst herausgearbeitet hat – auf wunderbare Weise näherbringt. Humor hat die Schriftstellerin sowieso, auch deshalb ist der Roman ein großer Spaß.

Wie hätte man damals anerkennend ausgerufen? Ey sapperment!

(Karen Duve: Fräulein Nettes kurzer Sommer. Roman, Galiani Berlin. 592 Seiten, 25 Euro.)

Die Redakteure des NN-Feuilletons durchforsten regelmäßig die Riesenflut von Neuerscheinungen und Events und präsentieren einmal pro Woche ihr ganz persönliches Highlight - "Das Ding der Woche".

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